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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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zog seine schöngebügelten Hosen höher.
    »Weißt du! ... Das sind ja lauter Idioten! ... Revolutionen können nur Franzosen machen«, sagte Marietta dämlich. Ich horchte noch immer. Es war wieder still.
    »Na, das soll uns nicht abhalten, auch fernerhin vertrauensvoll in die Zukunft zu blicken«, meinte Davringhausen forviert ironisch und nahm das Sektglas. Auch ihm lag anscheinend sehr viel daran, eine gute Stimmung herbeizuführen. Er prostete Marietta zu und lächelte wieder. Dann schwang er sich elastisch auf, ging ans Grammophon, ließ es spielen, nahm Marietta an der Hand und rief: »Gnädige Frau, darf ich bitten! ... Ein Tänzchen! Ein Tänzleinchen ...« Schon drehten sich die beiden.
    Herrgott, Herrgott, wie kindisch, wie langweilig, wie verblödet so ein Reichtum die Menschen macht, dachte ich in einem fort. Der Holländer gähnte und schnitt ein unlustiges Gesicht.
    »Die haben sicher die Räterepublik angeschossen in der Stadt drinnen«, sagte ich zu ihm. »Hm, jaja, dieser Lausbub von Arco!« murrte er. Ich sah, er war ärgerlich, wahrscheinlich empfand er dumpf eine Störung seines Lebens, seiner Bequemlichkeiten. Mir kam blitzschnell ein Trost in den Sinn.
    »Weißt du was! ... Das ist sehr einfach!« rief ich ihm laut zu. »Du bist Ausländer und erklärst einfach deine Villa und den Garten für eine neutrale Räterepublik ... Dann belästigt dich kein Mensch mehr!«
    Davringhausen hatte es gehört und lachte hellauf: »Fabelhaft, hahaha, großartig!« Der Einfall verfehlte seine Wirkung nicht, alle wurden mit einem Male lustig. Der Holländer sprang auf und jauchzte schier: »Sehr fein! Ausgezeichnet! Kinder, das muß gefeiert werden!« Er läutete dem Diener.
    »Was denn?« fragte Marietta. »Räterepublik Marietta!« erwiderte ich. Der Holländer klärte sie auf.
    »Entzückend«, sekundierte Davringhausen. Der Diener kam und mußte mehr Sekt bringen. Der Hausherr ging selber in den Keller und holte eine neue Flasche Whisky.
    In bester Stimmung setzten wir uns abermals zusammen und fingen von neuem zu trinken an. »Graf, du bleibst jetzt bei uns ... Was geht dich der ganze Rummel an!« erklärte Marietta zwischendurch einmal. Ich nickte. Langsam kam ich wieder in mein gewohntes Unterhalter-Element.
    »Jawohl, jawohl! Man fügt sich, man biegt sich«, prostete ich mit breiter, fetter Stimme der Hausherrin zu: »Es lebe die Scheiße!« Wieder ließ Davringhausen das Grammophon spielen, wieder tanzte er mit Marietta. Es wurde lauter, immer lauter. Zu guter Letzt sprangen wir alle vier wie wildgewordene Indianer im Raum herum und machten einen furchtbaren Spektakel, Gläser fielen auf den Boden und zerklirrten, jeder nahm irgendein faßbares Stück, fuchtelte herum und schlug an die Wand oder auf die Messingplatte des Rauchtisches. Ich setzte die volle Sektflasche an die Lippen und schluckte krachend, schwang sie und torkelte wie ein ungeschlachter Bär im Kreise herum. »Wir wollen uns mit Schnaps be-e-erauschen - wir wollen unsre Wei-eiber tauschen, wir wollen uns mit Dreck beschmie-ieren und überhaupt ein freies Leben fü-ühren!« grölten wir alle besoffen. Alles verschwamm mir, es würgte mich, ich hielt an mich, jagte plötzlich durch die Tür, stürzte in den Abort und erbrach mich. Es war, als kämen Därme und Magen mit herauf. Ich lehnte an der Wand und hielt meinen heißen Kopf. Vor der offenen Tür gaukelten die anderen drei herum, lachten, stupsten mich ab und zu und schrien durcheinander. Schließlich nahmen sie mich wieder in die Mitte, schleppten mich abermals zurück ins verwüstete Rauchzimmer und ließen mich in einen Polsterstuhl fallen.
    »A-a-ahach!« stöhnte ich wie ein Pferd. »A-a-ahach! ... Ja, jetzt ist's besser! Whisky her! Her zum Saufen! Auf, auf! ... Mensch, das Leben ist eine Kotzschüssel! Her! ... A-ah!« Ich trank. »Auf geht's! Krach! Weitermachen!« plärrte ich heiser und schüttete immer wieder den Whisky in mich hinein. Auf einmal kam wieder der Schwindel über mich, ich hörte unbeschreiblichen Lärm, er brach ab, ich wankte und fiel lang hin.
    Erst am andern Tag fand ich mich halbausgekleidet, mit verklebtem Gesicht, in seidene Steppdecken gewickelt, auf einem Diwan im Turmzimmer Mariettas. Mein Kopf brummte, mein Mund stank wie eine Jauchegrube. Ich stand schnell auf, suchte meine verschmierten Kleider zusammen, zog sie an, wusch mich im Abort notdürftig und kam ins Frühstückszimmer hinunter. Da saßen bereits die drei und lachten mir schallend

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