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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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beiseit', wir haben wirklich wichtige Aufgaben ... Es gibt eine Masse zu tun«, fing endlich der Klumpfüßige abermals an. »Ich mach' jetzt die revolutionären Arbeiterfeiern im Deutschen Theater ... Nächstens bring' ich Spartakusdichtung ... Da will ich auch was von dir vortragen.« Ich nickte nur noch teilnahmslos, und der Mann humpelte schließlich zur Tür hinaus. Alleingelassen, dachte ich lang darüber nach, wie ich nun der Revolution nützlich sein könnte, aber es fiel mir nichts Gescheites ein. Mein Magen fing zu knurren an. Die Wirtschaften waren zu, und Essen hatte ich keins da. Geld erst recht nicht. Mir fiel der Holländer ein. Ich machte mich trotz der Polizeistunde auf den Weg nach Nymphenburg. Während des Dahingehens überlegte ich unablässig meine revolutionäre Verwendbarkeit. Ganz von ungefähr kam mir die Versammlung im Mathäser wieder in den Sinn.
    »Ach was, du machst ja doch wieder lauter Dummheiten«, brummte ich mir selber zu, und die Begeisterung verflog.
    Die Straßen waren unbelebt. Hin und wieder stieß ich auf Patrouille. »Wohin?« fragten die Männer. »Nach Nymphenburg, Genossen! ... Ich hab' mich verspätet«, erwiderte ich leger und sie ließen mich gehen. Diese Vertrauensseligkeit wunderte mich. Ich zweifelte schon wieder die ganze Revolution an.
    Je weiter ich aus der Stadt kam, desto finsterer und stiller wurde es. Nicht einmal mehr erhellte Fenster sah ich. Kalt fegte der Wind um die Ecken und warf sich auf mich.
    Unbehagliche Heimatlosigkeit empfand ich.
    Marietta und der Holländer empfingen mich allerfreundlichst. Der überelegante Maler Davringhausen wohnte seit einiger Zeit bei ihnen und war, schien es, Hausfreund hier. Wir tranken etliche Schnäpse, und ich besah mir die Räume. Jeder war ein wahrer Schmuckkasten. Wie ein unwirklicher, sehr seltsamer Traum kam mir all dieser ausgesuchte Luxus nach einem solchen Tage vor. Wir setzten uns in eine gemütliche, holzgetäfelte Stube an einen erlesen gedeckten Tisch. Alte Wikingerschiffsmodelle hingen von der Decke herab. Ein ernster Diener servierte schweigend. Wir tranken und aßen. Ich erzählte und erzählte. Vom Eßzimmer gingen wir ins geräumige Rauchzimmer, an das eine Art »Wintergarten«, ein glasüberdachter Raum mit chinesischen Vasen und exotischen Pflanzen, stieß. Wir fläzten uns behaglich in die Polstersessel, und jeder blies den Rauch seiner Zigarette in die Luft. Der Diener brachte Sekt, der Holländer entkorkte, die Pfropfen knallten. Er goß die perlende Flüssigkeit in die hohen, schlanken Gläser.
    »Es wird jetzt vielleicht soweit kommen, daß die Vermögen beschlagnahmt werden«, sagte ich nebenbei.
    Der Holländer bekam einen Moment ein unbehagliches Gesicht. Davringhausen lachte hellauf und nannte alles einen Unsinn. Er witzelte snobmäßig.
    »Ach was, wir sind ja Ausländer!« rief Marietta. Sie erzählte zum weiß Gott wievielten Male die Geschichte von ihrer Verhaftung wegen Spionageverdachts und erging sich in Betrachtung über ihre Pariser Bohemezeit. Jeder kannte jedes Wort schon auswendig. Es langweilte. Dennoch lachte Davringhausen immerzu entzückt und ich wollte ihm nicht nachstehen. Für eine solch ergiebige Gastfreundschaft mußte man doch dankbar sein.
    Der Holländer hockte träg mit weitausgestreckten Beinen da und verzog nur ab und zu die Mundwinkel.
    Die Langeweile kroch immer mehr heran, wurde immer schlimmer und quälte zuletzt. Ich war überreizt, deprimiert, zerfahren und nervös. Meine Augen brannten schlafhungrig, meine Gedanken schienen ausgelaugt, die Geschehnisse des Tages schwirrten noch immer durch meinen zerhetzten Kopf. Ich trank jedesmal, wenn mich das Gähnen ankam, trank wieder, wieder und wieder, um schneller in meine jetzige Umgebung und vor allem in eine Heiterkeit hineinzukommen. Hatte ich die einmal, dann ging ja alles. Schlafen und rasten konnte man hier nicht. Es waren schon Lücken ins Gespräch gekommen, im Handumdrehen konnte ein Krach aufsteigen, denn Marietta sprach eigentlich nur noch allein in den leeren Raum hinein. Wurde ihr unsere Interesselosigkeit bewußt, war es gefehlt. Ich griff verzweifelt zum Sektglas, trank, trank und soff. Irgendwo in der Nacht draußen krachte jetzt ein langhingezogener Kanonenschuß. Das wirkte fast wohltuend. Wir hoben alle vier zugleich die Köpfe und horchten. »Was ist denn das?« fragte der Holländer hastig.
    »Schießen! ... Ein Schüßchen! ... Ein Schüßleinchen!« witzelte Davringhausen pallenbergisch und

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