Wir sind Gefangene
unsicher und halb großmannssüchtig. »Soso, jaja, ich mach alles«, brummte ich gleichgültig.
Die Redaktion war leer, als wir ankamen. Achenbach hing Hut und Mantel an die Wand, zog ein langes Manuskript aus der Brusttasche und ging an den Tisch. Da lag der Fahnenabzug. Ich hatte nicht abgelegt und hockte uninteressiert da.
»Das muß heut' in die Zeitung«, sagte Achenbach. »So«, brummte ich wieder. Ein Metteur kam zur Tür herein und grüßte beiläufig. Sachlich ging er an den Redaktionstisch, ergriff .den Fahnenabzug und fragte: »Ist das jetzt erledigt?«
»Jawohl, das setzen wir als Spitzenartikel in die heutige Nummer«, erwiderte Achenbach. »Gut«, sagte der Metteur und ging. Wir waren wieder allein, und Arbeit gab's anscheinend gar keine sonst. Achenbach tappte nervös hin und her und sagte zwischendurch manchmal: »Das muß nämlich alles erst straff organisiert werden.« Ich stand eine Weile dumm da, dann setzte ich mich und suchte gelangweilt zu ergründen, zu welchem Zweck ich eigentlich hier sei. Grade wollte ich dieserhalb fragen, da ging die Tür auf, und hereinspaziert kam ein Mann in meiner Größe mit kurzgeschnittenem grauem Schnurrbart und solchem Stoppelhaar, biederem Gesicht und legerer Kleidung. Ihm folgte auf Fußbreite ein halbbeleibter, rotgesichtiger, sehr erhitzter Pfarrer. Beide traten entschlossen vor Achenbach und begannen sofort eine Debatte. »Herr von Achenbach, Sie haben da einen Artikel in die Druckerei gegeben ... Also, wir möchten schon gleich sagen, das geht nicht ... Das erlaubt uns unsere Gesinnung als christkatholische Mitbürger nicht ... Neinnein, da-da-« fing der Pfarrer mit heftigen Gestikulationen an, und der andere Mann sekundierte sogleich: »Herr Zensurrat, nein-nein, da - das verbietet uns unser Glaube. Sie haben doch eine Überzeugung, nicht wahr?« »Das ist ganz gleich, das ist vom Zentralrat angeordnet, und Sie haben sich zu fügen ... Die Verantwortung übernehme ich ... Der Artikel ist lediglich eine Auseinandersetzung«, warf Achenbach ein. »Nein! Also nein ... Ich bin hier schon weit über ein Jahrzehnt Chefredakteur und kann nicht ... Der Artikel wendet sich nicht nur gegen die Katholiken, gegen unseren Glauben - er wendet sich überhaupt gegen jeden Glauben, gegen den protestantischen und jüdischen und mohammedanischen ... Er ist eine schwere Verletzung der Religionsfreiheit ... Sie können uns nicht zumuten, daß wir als katholisches Blatt Atheismus predigen ... Das kann auch der Herr Landauer nicht gewollt haben«, rief der Pfarrer wieder und beteuerte fort und fort: »Nein, nein-nein, das -«
»Ich hab' doch schon gesagt, Sie brauchen doch die Verantwortung gar nicht zu übernehmen ... Und übrigens, das ist damit nicht gesagt, daß, wenn wir einen Artikel bringen, der sich gegen die verschiedenen Religionen als Dogmen wendet, daß das dann eine Verletzung der Religionsfreiheit ist ... Wir wenden uns eben an denkende Leser, an das Proletariat ... Jeder kann sich selber entscheiden«, begann Achenbach in seiner konzilianten Dozierungsart und schien den höchsten Gefallen daran zu haben, sich mit den Herren zu unterhalten. Er las, solang' ich von ihm wußte, Kierkegaard und die Mystiker und war eine echte Diskussionsratte. Die Redaktionsherren waren aber nicht zu erweichen.
»Selbst entscheiden ...? ... Nein - nein, wir als Katholiken haben unseren Gott und unseren Glauben ... Das geht nicht, wir haben uns schon lang entschieden, Herr von Achenbach ... Wir möchten da nicht lang herumstreiten ... Wir bitten, uns zu Herrn Landauer zu führen ... Lieber legen wir überhaupt unser Blatt in Ihre Hände, lieber geben wir alles auf«, beharrte der Pfarrer.
»Unsere Überzeugung ... Sie können uns wie unseren Herrn Jesus ans Kreuz nageln ... Wir Katholiken sind immer schon verfolgt worden ... Nein, nein, wir können es mit unserem Gewissen vor Gott nicht vereinbaren... Auch wir sind bloß Arbeiter, wir haben gar nichts gegen die Regierung, aber wir können das nicht ... Der Artikel ist eine schwere Versündigung gegen die Religion«, fing schon wieder der andere an. Achenbach kam fast gar nicht mehr zu Wort. Er fuchtelte herum, lächelte dann wieder und spielte mit seinem Browning, unsicher war er geworden, er wollte nicht verletzen und doch wieder den wilden Mann zeigen.
»Ja, Herrgott, ja ... Ich bin doch beauftragt ...! ... Der Artikel muß heraus! Er ist angeordnet!« schrie er hell und begann, wahrscheinlich, weil er sah, wie wenig er
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