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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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uns. Modelle kamen und liehen sich Geld. Wir gingen spazieren und kamen im Cafe wieder mit einigen Bekannten zusammen.
    Der Geselle in der Bäckerei war hinterlistig. Er hatte ein aufgedunsenes Gesicht, kleine, geschlitzte Augen und eine süßliche Fistelstimme. Mit dem Meister tat er sehr kollegial, denn er hatte eine kleine Brotfiliale und trachtete danach, auch bald Bäckermeister zu werden. Er gehörte zu jener Spezies von Menschen, von denen man sagt, sie treten nach unten und kriechen nach oben. Kam der Meister um Mitternacht nach Hause und sah in der Backstube nach, so sagte der beflissene Geselle jedesmal: »Oh, Herr Doll, wir werden leicht fertig. Sie können sich ruhig schlafen legen. Das Zeug ist gleich herausgebacken. Beim Ettaler haben wir dreimal soviel gehabt und waren bloß zwei - ich und der Lehrling.«
    Wie wird so etwas ein Bäckermeister nicht gerne hören. Gleich sagte der Herr Doll: »Soso, jaja, macht's nur!« Er rülpste einige Male, bohrte sich in der Nase und griff in den gärenden Teig, sagte: »Der taugt auch schon, muß schnell 'rausgearbeitet werden ... Lassen Sie ihn nicht vergehen«, fletschte etliche Augenblicke seine Zähne und ging zu Bett. Wenn er dann draußen war, griff der Geselle den Teig an und brummte beleidigt ein paar unverständliche Worte wie »Immer muß er was zum Kritteln haben« und warf den Teig auf die Trogtafel. Dann ging die Hetze los. Ich wog die Stücke aus, der Lehrling legte sie in die Teigmaschine und streute sie dem Obergesellen hin. Dann hieß es Semmelschleifen, Brezendrehen usw. In der Frühe kam der Meister und half beim Weckenmachen mit. Die verschiedenen Teige hatte ich zu machen. In Gegenwart des Meisters schuftete der Geselle, trieb uns - mich und den Lehrling - an und spielte den Tüchtigen. Oft nachts sagte ich so nebenbei, daß es eine schöne Schinderei sei in dieser Bude, und daß man sich sein Geld sauer verdienen müsse, während sich's der Meister beim Biere gütlich tue und fette Schweinebraten fräße.
    »Wissen Sie, was der Oskar heut' nacht gesagt hat?« erzählte dann der Geselle meistens beim Weckenmachen dem Meister.
    »Ja, was?« fragte dieser neugierig, ohne von der Arbeit aufzusehen und lächelte hämisch in sich hinein.
    »Eine schöne Schinderei war's bei Ihnen, und Meister sein sei leicht«, berichtete der Geselle möglichst harmlos, fuhr überlegen lächelnd und kriecherisch fort: »Der ist eben solche Arbeiten nicht gewohnt und meint, Meister ist man im Handumdrehen ...« »Jaja, die jungen Leute heutzutag! ... Die meinen immer, man könnt' so was übers Knie abbrechen«, fiel ihm der Meister ins Wort und lachte sein lautes, nasses Lachen. »Zu meiner Zeit hat man noch achtzehn Stunden in den Bäckereien gearbeitet und hat die Woche einen ganzen Gulden gekriegt. Dagegen ist der heutige Gesell' ja der reinste Privatier!« Und dann folgte meistens die Geschichte seines Werdens. Breit, behäbig und selbstbewußt. Der Geselle nickte hin und wieder, als ob er des Meisters Ausführungen bekräftigen müsse. Ich sah bei solchen Gelegenheiten meistens dumm drein und schwieg meinen Groll in mich hinein. War diese Partie Brot fertig, so hieß es austragen. Bis mittags um zwei Uhr fuhr ich schwerbepackt auf dem Fahrrad zu den verschiedenen Kundschaften. War ich damit zu Ende, ging ich in die Backstube, scharrte meine Troge aus, schüttete das Mehl hinein und machte das Dampf. Der Lehrling fegte unterdessen die Backstube aus und war immer um mich. Er war weitläufig zum Meister verwandt und mußte aufpassen, daß ich kein Brot mitnahm. Anfangs legte ich mir ahnungslos im Beisein des Lehrlings meine Brotration beiseite. Gebräuchlich war, daß man täglich ein halbes Pfund mitnehmen durfte. Meine Ration betrug drei Pfund. Der Lehrling verklagte mich. Der Meister machte hämische Andeutungen. Aber warum soll ich nicht essen, wenn ich Hunger hab', dachte ich mir, soll ich viel leisten, muß ich auch viel essen. Die Sticheleien des Meisters hatte ich sehr bald über. Da es offen nicht geduldet wurde, machte ich das Brotwegtun heimlich.
    »Komm, hol mir Zigaretten«, sagte ich meistens kurz vor dem Weggehen zum Lehrling, und während er weg war, stopfte ich mir die Taschen voll Brot und kleidete mich an. Ruhig ließ ich seine prüfenden Blicke über mich ergehen und verschwand. »Scheinheiliges Pack!« fluchte ich auf der Straße und rechnete mein Erspartes nach. Auf meinem Zimmer machte ich mir Kakao, aß etliche Semmeln, begann zu lesen oder

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