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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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werden«, berichtete Peperl weiter. Ich schaute ihn an. Er wagte mir nicht in die Augen zu schauen. Ich ging hinunter ins Büro zum Leutnant.
    »So, da sind Sie«, fuhr mich der an und verlas einen schreibmaschinengeschriebenen Bogen, daß ich sofort zu drei Tagen Strengen verurteilt sei. Ist das alles, mußte ich unwillkürlich denken, blieb stramm stehen und hörte mir die Sache an. »So!« stieß der dünne, elegante Leutnant heraus. Dann kam Peperl und führte mich in ein russisches Gemeindehaus in der Nähe. Dort ließ er sich vom Arrestfeldwebel, einem alten, gemütlichen Erzgebirgler, die Einlieferung bestätigen und verließ mich bedrückt. Ich lächelte ihm ins Gesicht, aber er blieb stumm und furchtsam wie ein scheues Kind fast.
    »So Kamerad, kommen Sie, dahinten ist ein Stübchen ... Ist noch warm, legen Sie nur gleich nach«, sagte der Feldwebel unsoldatisch leger und sperrte mich in einen kleinen, dunklen, warmen Raum, der nur eine hölzerne Pritsche enthielt. Holz lag noch da. Ich begann sofort nachzuheizen, legte mich auf die Pritsche und döste langsam ein. Eine lahme Gleichgültigkeit war in allen meinen Gliedern. Hier im Arrest bekamen wir das gleiche Essen wie im Dienst und mußten - es waren ungefähr fünfzehn Sträflinge und ein Polackenweib, das wegen Unzucht hier untergebracht war - am Tage zirka zwei Stunden für unsere Zellen sägen und spalten. Da kamen kleine Judenknaben und brachten uns Zigaretten und russisches Weißbrot. Der Feldwebel war ein loyaler Mann. Er ließ alles geschehen. Zwei alte Landstürmler, ebenfalls aus dem Erzgebirge, bewachten uns und sahen zu. Einer davon holte mir von unserm Quartier Bücher, die ich an der Fensterluke las.
    »So was ist ja glänzend«, sagte ich, »da geh' ich überhaupt nicht mehr 'raus. Was schert mich der Mist vom Stab.«
    »Ist alles müd' von der langen Kriegszeit«, sagte der alte Mann mit einem gutmütigen Sorgengesicht. Da stand er, gebeugt und wehmütig, so eben wie ein Mensch, mit dem man alles machen konnte.
    »Wenn man wüßt' für was«, meinte er, »es wird nicht Schluß, bis alles hin ist ... Ich hab's immer gesagt ... Alte, sag' ich, Jung', sag' ich zu meinem Justav, wir sehen nichts, wenn Sieg wird ... Die Jroßen hock'n sich wieder zusamm' und sauf'n ihren Schampanjer wie jewöhnlich, wenn's aus ist und die Kleenen sind ruiniert ... Schwindl, Kamerad, nichts wie Schwindl ... Die Kleenen uff der Welt würd'n einand'r nischt tun, bloß die Jroßen arrangieren das! ... Schwindl, nichts wie Schwindl ...« Er griff in die Tasche, zog einen Strunk Kautabak heraus, schnitt ein Stück ab und steckte es in seinen Mund. Verdrossen spuckte er und schüttelte seinen alten Kopf ...
    Am dritten Tag kam ich aus dem Arrest, ging zum Leutnant und meldete mich. Alle meine Kameraden sahen mich schief, fast furchtsam an.
    »Na, hoffentlich hat Ihnen die Sache den Kopf zurechtgedreht«, meinte der Leutnant, »aber das Nachspiel kommt noch. Abtreten.« Und wieder kamen die bekannten Kehrtwendungen.
    Ein mysteriöser Brief aus Berlin kam: »Schreibe nicht mehr! Jung aus Dahlem fort. Auf der Flucht. Polizei forscht überall.« Die Schrift kannte ich nicht. Ich wußte nur, daß Schorsch unterdessen aus dem Bezirkskommando München entlassen worden war und sich in Berlin niedergelassen hatte. Ich schrieb also nicht mehr und wartete ab. Es kam nichts. Auf Umwegen erfuhr ich, daß Jung tatsächlich aus der Irrenanstalt geflüchtet war und nach seiner Wiedereinlieferung bald entlassen wurde. Man hatte ihn für geisteskrank ausgegeben, weil er desertiert war. Als er das tat, kam er zu Schorsch nach München, bald faßte ihn die Polizei und Schorsch bekam wegen Begünstigung eine fünfwöchige Untersuchungshaft.
    Dies beunruhigte mich. Ich wollte wissen, was passiert war. Ich schrieb einen Zettel: »Trainsoldat Graf bittet Herrn Major um einen zweiwöchigen Urlaub, und zwar hat er eine Woche in Berlin geschäftlich zu tun und eine Woche infolge familiärer Angelegenheiten zu Hause.« Ich zögerte und trug den Zettel drei Tage herum.
    »Mensch, warum tust du denn nichts?« fragten mich meine Stabskameraden.
    »Ich habe Ruhetage nach dem Arrest«, gab ich ihnen zur Antwort. Sie schüttelten bedenklich die Köpfe und schwiegen. Aus Angst besorgten sie meine Pferde. Nachmittags ließ ich die Gäule der Offiziere etwas im Freien herumlaufen und da lief der Fuchs vom Leutnant wieder weg. Der Leutnant versuchte es mit geduldigeren Worten: »Schämen Sie sich

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