Wir sind Gefangene
Leutnant jeden Augenblick los. Ich war ruhig. »Wenn der Gaul bis morgen mittag nicht abgezogen ist, haben Sie Festung!« feixte der Offizier plötzlich.
Ich sagte abermals in der gleichen Tonart wie vorhin: »Verzeihung, Herr Leutnant, ich bin kein Metzger!«
»Hinaus!« schrie er. Ich ging hinauf und legte mich wieder schlafen. In der Frühe ging ich wieder zum Leutnant und wiederholte abermals: »Verzeihung, Herr Leutnant, ich kann den Gaul nicht abziehen.«
»Hinaus! Raus!« brüllte der und schrie mir nach: »Holen Sie sich vom Pferdelazarett zwei Russen und lassen Sie sich helfen! Aber dann fix!«
Ich ging ins Pferdelazarett, holte zwei Russen, gab ihnen Pickel und Schaufel und sagte: »Rußki! Rußki! Loch! Loch! Hier!« Und machte ihnen Zeichen. Die beiden verstanden, gruben die gefrorene Erde auf und machten ein tiefes Loch. Unterdessen nahm ich ein Beil und schlug dem toten Gaul, der durch und durch gefroren war, Füße und Hals ab, warf sie in die Grube und dann den starren Leib drauf.
Dann deckten wir zu. Mittags kam der Leutnant auf mich zu: »Was ist mit dem Gaul?« Und sah auf die Stelle, wo die schwarze Erde so hoch lag.
»Hier ruht er, Herr Leutnant«, antwortete ich und sah ihm ruhig ins Gesicht. »Und die Haut?« fragte der schlanke Mann zornrot.
»Verzeihung, Herr Leutnant, der Gaul war vollkommen gefroren, und die Därme haben hinten herausgehangen«, sagte ich. »Die Haut!« schrie der andere.
»Auch die Russen haben es nicht fertiggebracht!« erzählte ich unbeirrt.
»So!« begann jetzt der Leutnant direkt fiebernd und machte einen drohenden Schritt auf mich zu: »Also Sie wollen Festung?! Das können Sie haben! Was suchen Sie überhaupt weiter bei uns, Sie! Sie!« Er bebte jetzt noch mehr vor Wut.
»Ich wollte es Ihnen schon lange sagen, Herr Leutnant, ich möchte zu einem anderen Truppenteil, denn hier bekomme ich bloß Strafe auf Strafe. Ich bin, glaub' ich, nicht recht geeignet für den Stabsdienst«, sprach ich ruhig.
»So! ... Hm! ... Auf der Festung können Sie sich das ja überlegen, Sie Bursche!« polterte mein Vorgesetzter und fuhr in gleichem Ton fort: »Was bilden Sie sich eigentlich ein! Glauben Sie vielleicht, für Sie wird eine Extrawurst gebraten! Wie stellen Sie sich das eigentlich vor, Sie Idiot!«
»Ja ... Ich denke, man schickt mich wieder zu meinem Ersatztruppenteil und reiht mich von dort aus in eine andere Formation ein«, sagte ich unentwegt. Das verblüffte den Mann einen Augenblick. Er musterte mich stumm und böse. Dann sagte er kurz: »Warten Sie! Sie werden schon sehen!« Und ging. Zwei Tage verliefen.
»Geh doch in den Stall, Mensch! Du kriegst ja zehn Jahre Festung!« wimmerten meine Kameraden. Ich rührte mich nicht vom Fleck. »Ich bin krank! So oder so kaputt ist gleichgültig!« antwortete ich ihnen verstockt.
Am zweiten Tag, abends fünf Uhr, mußte ich zum Leutnant.
»Sie haben binnen einer Stunde feldmarschmäßig bei mir zu erscheinen«, war der knappe Befehl.
»Was ist denn los, Herr Leutnant?« fragte ich harmlos. »Abtreten! Hinaus!« donnerte es zurück.
»Gut!« brummte ich entschlossen im Hinausgehen, fast wie für mich. Und wieder sahen mich alle Kameraden mit einer merkwürdigen, stummen Fremdheit an, als ob sie sich vor mir fürchteten. Nach zirka zehn Minuten kam ich feldmarschmäßig ins Leutnantsbüro, stellte mich stramm und sagte: »Zur Stelle!«
Der Leutnant drehte sich rasch um, sah mir verächtlich ins Gesicht und sagte in schadenfroher Tonart: »So! ... Und jetzt begeben Sie sich zur preußischen Landwehr-Eisenbahnbau-Kompanie Numero zwei, damit Sie mal schippen lernen!« Ich begann ein ganz klein wenig zu zittern, straffte aber sogleich wieder meinen Körper und sagte: »Möchte Herrn Leutnant melden, daß ich den Befehl niemals befolgen werde!«
Der Leutnant warf sich ruckhaft einen Schritt vor. Ein preußischer Offizier, der am andern Schreibtisch saß, schnellte wie eine gesprungene Matratzenfeder empor, und beide brüllten zu gleicher Zeit: »Wasss!?«
Die Türe des Majorskabinetts öffnete sich, und der Major fauchte herein: »Was höre ich hier? ... Wasss!? ... Befehlsverweigerung?« Und ein Blick bohrte auf mich ein. Ich wandte mich bebend herum und sagte wieder in der gleichen Tonart wie vorhin: »Möchte Herrn Major melden, daß ich den Befehl des Herrn Leutnants niemals befolgen werde!«
Ein lautplärrendes Stimmengewirr zischte um mich. Drohend deutete der Major an die Tür: »Hinaus! Hinaus!« Am ganzen
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