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Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Titel: Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Herbold
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Gleichgewichts: Letzte Woche hatten sie und die Kinder beim Chinesen ein schmieriges Drei-Gänge-Menü bestellt, das dann gemeinschaftlich mit bloßen Händen in einer eigens dafür errichteten Höhle im Kinderzimmer verschlungen wurde. Und das Ganze diente nicht nur als eindrucksvolle Demonstration dafür, dass man bei ihnen neuerdings vom Fußboden essen konnte.

Die Party
    W enn das einsame Oberhaupt einer stolzen Kleinstfamilie schon mal vor die Tür geht, dann soll es sich auch lohnen. Immerhin zahlt man für das Vergnügen 6 € pro angefangener Stunde an die babysittende Nachbarstochter, die dann, kaum dass die Kinder schlafen, die Gelegenheit nutzt, den Kühlschrank zu plündern und über den Festnetzanschluss erst ihren neuen Freund und dann alle ihre Freundinnen auf deren Handys anzurufen. Die Freundinnen müssen schließlich genau erfahren, was der Freund von sich gegeben hat, damit es anschließend gemeinsam interpretiert werden kann: »Und dann hab ich gesagt, woran denkst du gerade, und dann hat er gesagt, an nichts Spezielles, und dann hab ich gesagt, wie, nichts Spezielles, und dann hat er gesagt, an nichts Spezielles eben.«
    Für ein überlanges Hollywood-Epos, noch dazu in der Lokalzeitung schlecht besprochen, geht man also sicher nicht vor die Tür. Für ein Theaterstück auch nur, nachdem mindestens sechs Personen, auf deren ästhetisches Urteil Verlass ist, abendfüllende Lobeshymnen über Autor, Regisseur und Darsteller ausgeschüttet haben. Ins Off-Theater geht man gar nicht, weil die immer eine halbe Stunde später anfangen als angekündigt. Wahrscheinlich kriegen sie hinter den Kulissen ihre komplizierte Videotechnik nicht rechtzeitig zum Laufen. In Konzerte geht man auch nicht – klassische sind zu langweilig, die anderen zu teuer – und zu Geburtstagen nur, wenn es runde und/oder die der allerbesten Freunde sind. Und wenn nicht erst, was eine Zumutung ist, in den Geburtstag reingefeiert wird, man also in jedem Fall der Höflichkeit halber bis nach Mitternacht ausharren muss, während einen die kommunikative Kinderbetreuung zu Hause finanziell ruiniert. Auf Partys geht man gerne, aber nur, wenn sicher ist, dass diese Party »die Party« wird: die Party des Jahres. Die Party des Jahrzehnts. Die Party des Jahrhunderts.
    Leider weiß man bei Partys immer erst hinterher, ob sie zur Sorte »die Party« oder zur Sorte »Für nichts und wieder nichts die Beine gewachst und dann stundenlang in den Bauch gestanden« gehören. Also hofft man. Und übt sich im Dialog mit anderen Gästen in formelhafter Beschwörung:
    »Das wird sicher ’ne super Party.«
    »Ja, wir werden so abfeiern.«
    »Ach, ich freue mich so auf die Party, die wird sicher supergeil.«
    »Ja, endlich mal wieder richtig abfeiern.«
    Wenn bei Partys Self-fulfilling-Phrophecy wirken würde, gäbe es keine schlechten Partys.
    Diese Party heute, auf die sie seit Wochen hinlebte, war bestimmt eine von den guten. Kein von Telekom und Sparkasse gesponsertes Super-Mega-Event. Es gab keine gebuchte Location, keine stylischen Einladungskarten, keine Tischtänzerinnen mit Gummititten. Diese Party war eine ehrliche Haut. Lässig und cool. Und sie war so geheim, dass sie an einem Ort stattfand, den man nur mithilfe gegenseitiger Handynavigation und einiger roter Kerzen am Wegesrand finden konnte.
    Das brave Oberhaupt der stubenhockerischen Kleinstfamilie begehrte diese Party, wie es lange nichts mehr begehrt hatte. Auch deshalb hatte sie im Vorfeld nichts dem Zufall überlassen: rechtzeitig der Nachbarstochter Bescheid gesagt, den Kühlschrank gefüllt, die Telefonrechnung bezahlt, die Kinder mit den simpelsten Tricks – kein Mittagsschlaf, stundenlanges Rennen über den Spielplatz, anschließend heiß baden – richtig schön müde gemacht und ausnahmsweise pünktlich ins Bett gebracht. Und für morgen früh hatte Mama schon Milch, Kekse und DVDs bereitgestellt, damit sich diese notorischen Frühaufsteher, mit denen man eigentlich unmöglich ersten Grades verwandt sein konnte, zwischen 6:15 und 11:30 Uhr weitgehend alleine beschäftigen konnten.
    Aus dem kargen Kleiderschrank hatte sie dann das bestmögliche Outfit – dezent aufreizend, modisch stilsicher, Problemzonen optimal kaschierend – zusammengekramt, Wachs in die Haare geknetet, Finger- und Fußnägel lackiert. Das erste Glas Sekt getrunken, noch mal schnell mit der besten Freundin telefoniert (»Das wird sicher ’ne super Party.« – »Ja, wir werden so abfeiern.«) und nach

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