Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)
genau 14,2 Minuten genug. Der Mutter hat es ehrlich gesagt schon nach 14,2 Sekunden gereicht, aber sie hatte, sich innerlich krümmend, weiter die engagierte Spielgefährtin geheuchelt.
Zum Glück finden sich in einer Kiste noch die alten Handpuppen und die kleine aufklappbare Tischbühne. Schnell lässt das Kind sich überzeugen, ein selbst erdachtes Theaterstück zum Besten zu geben. Mutti nimmt erleichtert auf einem der winzigen Stühle im Kinderzimmer Platz. Das Stück entbehrt leider jeder logischen Handlung, von einem Spannungsbogen ganz zu schweigen, nimmt aber immerhin acht Minuten in Anspruch. Vielleicht hätte es auch noch länger gedauert, aber das Publikum zog es vor, mit euphorischem Applaus ein vorzeitiges Ende herbeizuklatschen. Es folgen: Malen, Basteln, Singen, Vorlesen. Was alles in allem ungefähr 24 Minuten dauert. Um 9:41 Uhr, es ist natürlich immer noch Samstag, sind damit alle Spiele im Kinderzimmer restlos ausgeschöpft. Schon droht die friedliche Stimmung zu kippen, schon setzt das Kind zu seinem berüchtigten »Und was machen wir jetzt?«-Satz an. Mamas Hirn rotiert. Ein attraktives Outdoor-Programm muss her.
Die Möglichkeiten sind allerdings begrenzt. Längere Radtouren – schafft das Kind noch nicht. Das Museum mit den Dino-Skeletten – wird gerade renoviert. Zoo – schweineteuer, weit weg und zu zweit auch nur mäßig aufregend. Aquarium – schon besser, wäre eine Möglichkeit. Kindertheater – immer gerne, allerdings kennen Mutter und Tochter bereits das gesamte Märchenrepertoire aller im Umkreis von 30 Kilometern gelegenen Bühnen. Abenteuerspielplatz mit Wasserpumpe – vielleicht heute Nachmittag, da kann man danach gleich noch zu Hause in die Badewanne gehen. Kino – lieber für den Winter aufheben. Oder für später, wenn das Kind größer ist, sein Filmgeschmack differenzierter und Mama nicht zum zwölften Mal dem blöden Hasen Felix beim Weltreisen zugucken muss.
Na gut, für heute sind die Pläne geschmiedet, das Säcklein geschnürt und hinaus geht es in die weite Welt. Aber trotz ambitioniert-aktionistischster Eventplanung: Auch das ausführlichste Kindertheaterstück dauert kaum länger als hundert Minuten und auch der gemütlichste Besuch im Aquarium lässt sich nur mit Mühe über die Drei-Stunden-Marke hinaus dehnen, samt An- und Abreise per öffentlichen Verkehrsmitteln, versteht sich. Für ein 48-stündiges Wochenende wären also theoretisch nicht weniger als fünf bis sieben auswärtige Programmpunkte nötig. Was natürlich viel zu anstrengend und zum Glück auch unerschwinglich ist. Stattdessen müssen die Lücken mit kostenneutralen Spielplatzbesuchen – pro Aufenthalt im Durchschnitt: 73 Minuten – und unkompliziert zuzubereitenden Mahlzeiten – Vorbereitung: 17 Minuten, Verzehr: 9 Minuten, 1 Gummibärchen zum Nachtisch: 0,16 Minuten – gefüllt werden.
Der Samstag ist zu knapp zwei Dritteln geschafft, da kommt Mama eine ganz neue Idee. Hauptsächlich, weil sie die ewigen Nudeln mit Ketchup und Gummibär satt hat.
»Heute gehen wir mal ins Restaurant. Und jeder darf bestellen, was er will.«
Dann schlendern die beiden, trödel, trödel, zum Italiener an der Ecke. Wegzeit immerhin 6 Minuten. Dort fragt der Kellner, ob noch jemand erwartet wird – »Nein, wir sind nur zu zweit« – und bemüht sich daraufhin umso charmanter um Signora und Bambina. Mama bestellt sich eine Weißweinschorle, ist ja schon später Nachmittag, und das Kind kriegt ausnahmsweise eine Sprite. Man teilt sich dann noch eine Pizza Margarita. Die Konversation bei Tisch kreist zwar vor allem um die Frage, wann das Essen endlich kommt, aber Mama ist trotzdem froh, dass der Wortschatz der Tochter nicht mehr nur aus »ham ham«, »da da« und »gack gack« besteht. Ingesamt dauert das Auswärtsessen sagenhafte 47 Minuten. Auf dem Heimweg noch mal kurz am Spielplatz vorbeigebummelt und die kleineren Kinder vom Klettergerüst geschubst (14 Minuten), schon ist der Tag fast vorbei. Der Rest kann jetzt jedenfalls guten Gewissens mit Fernsehen ausgefüllt werden. Dann wird geschlafen. Ganze 10,5 Stunden lang!
Einer von 104 Tagen ist geschafft.
Am Sonntag scheint nicht die Sonne. Es regnet. Die Erde wird nass und Open-Air-Aktivitäten fallen allesamt aus. Mamas Kopf ist leer. Mamas Glieder sind schlaff. Nur das Kind ist wie immer voller Tatendrang. »Mama, was machen wir heute?« Irgendjemand hat mal behauptet, Kinder könnten sich auch sehr gut allein beschäftigen, man müsste sie nur
Weitere Kostenlose Bücher