Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)
Dämmerzustand, in dem das Aufstehen weit weg und die ersehnte Rapid-Eye-Movement-Phase zum Greifen nah ist. Komm zurück, süßer Freund Schlaf, komm zurück. Hier liege ich und bin ganz dein.
»Mama! Was machen wir heute?«
Vergeblich versucht Mama, sich taub, blind und stumm zu stellen und den Kopf noch tiefer im Kissen zu vergraben. Aber die Stimme an ihrem Ohr will einfach nicht verstummen: »Mama. Was. Machen. Wir. Heu. Te.«
Der Tag ist noch keine halbe Stunde alt und dem Kind ist jetzt schon … langweilig.
Die allein erziehende Mutter fürchtet das Wochenende wie der Teufel das Weihwasser. Warum ist nur montags, dienstags, mittwochs, donnerstags, freitags das Leben turbulent, der Terminkalender voll und die Zeit immer knapp? Und warum gähnt sie ab Samstagmorgen dann das Wochenende an wie ein großes schwarzes Loch? Wenn alle paar Monate mal Wochenende wäre, kein Problem. Aber das Jahr hat ja bekanntlich mehr als genug davon, nämlich insgesamt 52. Das macht 104 Tage schulfreie Sams- und Sonntage. 104 Tage, an denen die Zeit keine Eile und die Kleinfamilie wenig bis gar nichts zu tun hat.
Theoretisch könnte man sich ja verabreden. Leider aber ist die Auswahl an Freizeitpartnern am Wochenende stark eingeschränkt. Denn Wochenenden sind nun mal klassischerweise die Zeit, in der sich Vollfamilien lieber mit sich selbst beschäftigen wollen. Da wird dann endlich nachgeholt, was die Mutti unter der Woche alles alleine machen muss. Die Liste der aufregenden familiären Gemeinschaftsaktivitäten reicht von: gemeinsam frühstücken, gemeinsam einkaufen, gemeinsam zum Baumarkt fahren, gemeinsam kochen, gemeinsam essen, gemeinsam aufräumen, gemeinsam das neue Badezimmerregal aufbauen, gemeinsam feststellen, das es nicht ins Bad passt, gemeinsam darüber streiten, wer wieder welche Wand falsch ausgemessen hat, gemeinsam und mürrisch Abendbrot machen, bis: getrennt ins Bett gehen.
Bei Pärchen mit Kindern kann und will man sich also am Wochenende nur bedingt aufdrängen. Auch wenn die zugegebenermaßen meistens die größeren Wohnungen haben. Und auch noch passende Ford Escorts dazu. Aber wenn sich eine befreundete Vollfamilie wirklich ausnahmsweise mal zu einem Ausflug an den See aufrafft, dann passt die allein erziehende Kleinfamilie sowieso nicht mehr mit auf die Rückbank.
Mit Menschen ohne Kinder will man sich erst recht nicht verabreden. Nicht nur, weil deren gefühltes Wochenende samstags erst gegen 12 Uhr mittags beginnt, dann nämlich, wenn sie sich das erste Mal mühsam aus dem Bett quälen. Es folgen: Brunchengehen, Squashspielen, auf der Couch Liegen, Frauenzeitschriftenlesen. Und am Abend Happy-Hour-Cocktailtrinken mit den besten Freundinnen, wobei stundenlang den Kellnern hinterhergestarrt und über die anderen Frauengrüppchen an den Nebentischen gelästert wird. So hat sie das früher, als sie noch ein kinderloser Single war, auch gemacht und fand es alles in allem nicht die schlechteste Möglichkeit, ihre Zeit totzuschlagen. Als Mutter kann man leider an keiner dieser Aktivitäten länger als fünf Minuten teilnehmen. Spätestens dann ertönt nämlich des Nachwuchses wohlklingende Stimme: »Mama, wann gehen wir endlich? Mir ist so lang-wei-lig.« Und kein Mensch hat es je vermocht, diese drei Silben mit mehr existenziellem Leid zu intonieren. Ehrlich.
Die Langeweile einzudämmen vermag eigentlich nur ein Haufen anderer gelangweilter Kinder. Und weil man die selbst nicht hat, muss man sie sich mühsam von fremden Leuten ausborgen. Wenn möglich auch noch gleich zum Übernachten, denn dann ist der Sonntagvormittag auch schon gerettet. Der Haken: Die kleinen Strolche gehen vor lauter Freude über ihr Zusammensein nie vor 23 Uhr ins Bett und stehen dafür noch zwei Stunden früher auf als sonst, was zumindest bei dem eigenen Kind dann einen sehr schlecht gelaunten Sonntag zur Folge hat.
»Warum heulst du denn jetzt schon wieder? Gibt doch überhaupt keinen Grund.«
»Doch, wohl.«
»Ich glaube, du bist einfach müde.«
»Nein, bin ich nicht.«
»Heute Abend geht’s jedenfalls beizeiten ins Bett.«
»Nein, ich will nicht ins Bett. Und ich bin auch nicht müde.«
»Dann hör auf zu heulen.«
»Nein.«
Trotzdem birgt die selbstlose Gastfreundschaft den Vorteil, dass sich die Eltern der eingeladenen Kinder nach dem dritten oder vierten Besuch moralisch unter Druck gesetzt fühlen und mit einer Gegeneinladung aufwarten. Bestenfalls springt für Mutti also langfristig auch mal ein
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