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Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Titel: Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Herbold
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Noch mal so ein winziges, süßes, knautschiges Baby. Das am Kopf gut riecht und im Schlaf putzig das Gesichtchen verzieht. Das man immerzu knuddeln und küssen kann. Und mit dem man vorerst noch nicht die Einzelheiten des weiblichen Zyklus besprechen muss. Immerhin haben alle anderen Muttis in der Nachbarschaft mittlerweile auch schon nachgelegt. Und wo steht geschrieben, dass man sich, nur weil man allein stehend ist, mit einem Kind zufrieden geben muss? Das wäre doch, mit den Worten des moralisch häufig hoch entrüsteten Einzelkindes gesprochen, »voll ungerecht«. Nein, wie jede andere Frau jenseits der 35 hat man das gute Recht, den einmal eingeschlagenen Weg der Vermehrung fortzusetzen.
    Das Kind tönt neuerdings übrigens mindestens genauso laut wie der tickende Uterus und klagt vehement sein Grundrecht auf Geschwister ein. Zur Untermauerung seiner Forderung bedient es sich seines liebsten rhetorischen Mittels: der Verallgemeinerung.
    »Alle haben Geschwister, nur ich nicht.«
    Sonst lässt man diese Argumentationsstrategie »Nie darf ich dies, immer muss ich das« nicht gerne gelten, aber in diesem Fall hat das arme Einzelkind doch irgendwie Recht. Trotzdem versucht die mit allen Wassern der Diplomatie gewaschene Mutter, das Thema mit einem dezenten Hinweis auf die momentanen Lebensumstände ad acta zu legen: »Aber dazu bräuchten wir doch erst mal wieder einen Papa.« Dann wird das Kind behutsam an den eigenen Zeugungsvorgang erinnert: »Du weißt doch, wie Mama und Papa dich gemacht haben. Weil sie sich ganz lieb hatten und immer in einem Bett geschlafen haben.«
    Das Kind, das mittlerweile mehr anatomisches Wissen angehäuft hat, als einem lieb sein kann, ergänzt fachmännisch: »Und dann hat Papa seinen Pullermann in deine Muschi gesteckt.«
    Ja, genau, so war das, auch wenn man daran nur noch ungern erinnert wird. Aber das kluge Kind lässt nicht ab, sondern macht umgehend einen äußerst konstruktiven Vorschlag: »Wieso kann Papa nicht noch mal kommen und den Pullermann noch mal reinstecken?«
    Ja, wieso eigentlich nicht. Das wäre doch mehr als logisch, wenn man sich ein Geschwisterchen wünscht, oder? Man könnte ihn ja gleich mal anrufen und fragen. »Du, Jens, ich weiß, wir hassen uns und sprechen eigentlich nicht mehr miteinander, aber hättest du nächste Woche mal Zeit, hier vorbeizukommen und mir noch ein Kind zu machen?«
    Um sich selbst und den abwesenden Herrn Papa nicht weiter reinzureiten, beendet man an dieser Stelle das heikle Thema mit einem gemeinen Ablenkmanöver: »Weißt du was, wir gehen jetzt ein großes Bumm-Bumm-Eis essen, ja?«
    »Au ja«, schreit das Kind verblüfft und hat dann für die nächste Stunde wirklich Wichtigeres als ein Geschwisterchen im Sinn.
    Dafür ist Mama insgeheim auf den Geschmack gekommen. Nicht Sex mit dem Ex, Gott bewahre, aber ein zweites Kind, ganz im Ernst, das wär’s doch. Nicht mehr diese Ein-Kind-ein-Erwachsener-Minifamilie. Mit noch einem Kind wäre es doch gleich doppelt so lustig. Und ob sie wegen einem oder zwei Kindern auf Jahrzehnte ans Haus gefesselt und beruflich unvermittelbar ist, macht eigentlich auch keinen Unterschied mehr. Sie ist jetzt ohnehin schon daran gewöhnt, tagsüber hauptsächlich von Luft und Liebe zu leben und nachts husch, husch den Hausflur zu wischen und den Müll runterzubringen.
    Von der praktischen Seite aus betrachtet würde ein Zweitkind kaum zusätzliche Umstände machen: Die Schwangerschaftshosen und -blusen liegen noch in einer Kiste im Keller. An die Geburt kann sie sich nicht mehr erinnern, so schlimm kann sie offenbar doch nicht gewesen sein. Stubenwagen, Gitterbett, Wickelkommode, Buggy, BabyBjörn, Maxi-Cosi, Kleidung Gr. 56–122 sind vorhanden. Das erneute Ausfüllen des Erziehungsgeldantrags wäre diesmal in wenigen Tagen erledigt. Der Babysitter käme auch nicht teurer, wenn man ihn für zwei Kinder engagieren müsste. Und um den zweiten Kindergartenplatz würde man nicht monatelang betteln müssen, Geschwisterkinder wurden immer genommen. Eine kleine Umfrage im Bekanntenkreis ergibt außerdem, dass die Voraussetzungen für ein Zweitkind denen für das Erstkind ähneln: Übereinstimmend betonen alle Mehrfachmütter, wenn man gleichzeitig reden, spülen, stillen und Pfannkuchen machen könne; wenn man parallel den Kinderwagen schieben, die Einkäufe schleppen und bei Handyanrufen dennoch ruhig und souverän wirken könne; wenn man noch vom Gebärhocker aus seine Kontobewegungen im Blick behalten,

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