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Wir sind verbannt (German Edition)

Wir sind verbannt (German Edition)

Titel: Wir sind verbannt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Crewe
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entschuldigt sich andauernd bei mir. Sie musste so heftig husten, dass ihr der Tee wieder hochkam, den sie zuvor getrunken hatte, und sagte ständig »Tut mir leid«, während ich ihn aufwischte. Sie sagte »Tut mir leid«, als ich anfing zu husten, weil mein Hals vom vielen Vorlesen so trocken war. Sie sagt »Tut mir leid«, wenn ich ihr eine neue Packung Taschentücher bringen muss, sie sagt »Tut mir leid«, wenn ich ihre Temperatur messe, die sogar mit Paracetamol noch drei Grad zu hoch ist, und selbst dann, wenn sie nicht aufhören kann zu schluchzen, weil sie ihre Mom und ihren Dad so sehr vermisst.
    Jedes Mal, wenn sie die Worte ausspricht, spüre ich die schreckliche Last all dessen, was ich nicht tue – was ich nicht tun kann. Und ich wünschte, sie würde es nicht sagen. Und dann fühle ich mich noch schlechter, weil es mich stört, wo doch sie diejenige ist, die

    Ich habe das Gefühl, sie aufzugeben, wenn ich »sterben muss« schreibe.
    Vielleicht muss sie das ja gar nicht, oder? Dieser eine Patient ist schließlich auch wieder gesund geworden, obwohl er das Fieber voriges Jahr nicht hatte. Meredith könnte die Zweite sein. Das wäre doch möglich.
    Nicht eine Zelle meines Hirns glaubt daran, dass dies passieren wird. Aber theoretisch wäre es möglich.
    Gestern kam Gav zusammen mit Tessa und Dad aus dem Krankenhaus. Und heute Vormittag war er auch wieder hier. Er übernimmt es, Meredith etwas vorzulesen und ihr Tee zu machen, wenn es mir zu viel wird.
    Als er mich einmal in der Küche in den Arm nahm, fingen plötzlich meine Augen an zu brennen, aber ich hab nicht geweint. Zu weinen wäre irgendwie so, als gäbe ich sie auf.
    Er sagt nichts, und das bedeutet, dass es Warren nicht bessergeht. Es bedeutet, dass Warren ebenso gut auch schon tot sein könnte. Mir fehlt die Kraft, ihn danach zu fragen.
    So sieht unser Leben jetzt aus. Wir kochen Tee und lesen aus Büchern vor und sehen dabei zu, wie die Menschen sterben.

15. Dezember
    Das Wissen, irgendwann sterben zu müssen, halten die meisten Menschen für das Schrecklichste überhaupt. Aber das ist es nicht. Es ist das Wissen, möglicherweise hilflos dabei zusehen zu müssen, wie jeder Einzelne, den man jemals geliebt oder auch nur gemocht hat, langsam zugrunde geht.
    Es muss doch irgendwann aufhören, sage ich mir immer wieder. Und das stimmt auch. Irgendwann wird niemand mehr übrig sein.
    Und dann spielt es keine Rolle mehr, dass ich überlebt habe, denn dann sind alle tot, die das interessiert hätte.

17. Dezember
    Heute Morgen hielt ich es gerade mal eine Stunde mit Meredith aus, bevor ich langsam anfing durchzudrehen. Sie ist jetzt im zweiten Stadium. Schlingt dauernd die Arme um mich, greift nach meinen Händen, plappert davon, wie viel Spaß wir haben werden, und fragt, warum wir Tessa und Gav nicht auch noch zum Spielen einladen. Obwohl ich weiß, dass es nicht hundertprozentig sicher ist, nehme ich immer die Schutzmaske ab, wenn ich bei ihr drin bin, denn sie hasst es, mich mit verdecktem Gesicht zu sehen.
    Ich glaube, ich habe es ganz gut hingekriegt, sie abzulenken. Ich habe Mowat und Fossey aus dem Käfig geholt und sie eine Weile mit ihr herumtoben lassen. Anschließend haben wir eine ganz lange Kette aus ihren letzten Perlen gefädelt, die sie mir so lange immer wieder um den Hals schlang, bis die Reihen auf genau der richtigen Länge hingen.
    Ich habe sie immer noch um. Jedes Mal, wenn ich mich bewege, klackern die Perlen.
    Danach sah Meredith aus dem Fenster und bekam auf einmal einen ganz ernsten Gesichtsausdruck. »Warum kommt Mommy nicht zurück, Kaelyn?«, fragte sie. »Weiß sie denn gar nicht, dass ich sie so doll vermisse? Sie hat immer gesagt, sie hätte mich lieb. Aber wenn sie mich doch liebhat, warum ist sie dann nicht hier?«
    »Ich bin mir sicher, dass sie hier wäre, wenn sie könnte«, antwortete ich und musste schlucken. Einen Moment lang befürchtete ich, wenn ich versuchte, noch ein Wort mehr zu sagen, würde ich nur noch heulen.
    »Ich hol dir mal eine Kleinigkeit zu essen«, brachte ich dann hervor und beeilte mich hinauszukommen. Heute Morgen hat Dad ein Schloss an ihrer Tür angebracht, genau wie bei Mom und wahrscheinlich auch bei mir. Dann hörte ich ihn unten in der Küche am Wasserhahn hantieren – er hat ein paar Filter aufgetrieben, mit denen das Wasser wenigstens besser schmeckt, auch wenn wir es immer noch abkochen müssen.
    Ich musste ein paarmal tief durchatmen, während ich den Schutzkittel auszog,

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