Wir sind verbannt (German Edition)
schlafen, drehte sich in meinem Kopf alles weiter. Ich fing an zu schreiben, um die ganzen Gedanken loszuwerden.
Aber jetzt grüble ich noch mehr. Viel zu viel.
Vor ein paar Minuten habe ich Mom ins Bad gehen hören, also ist sie jetzt wahrscheinlich aufgestanden. Vielleicht frage ich sie, ob
Dad hat endlich angerufen. Mom telefoniert noch mit ihm, deshalb weiß ich noch nicht alles. Aber die Neuigkeiten klingen nicht gut. Gerade ist Rachels Dad gestorben.
15. September
Heute sind wir zu Onkel Emmett gefahren, damit Dad mit ihm über die mysteriöse Krankheit sprechen konnte. Eigentlich hatte ich vor, ein bisschen mit Meredith rauszugehen, doch Onkel Emmett wollte unbedingt, dass sie auch informiert wird, also saßen wir alle zusammen im Wohnzimmer. Ich hatte die ganze Zeit meinen Arm um Meredith gelegt. Als Dad erklärte, was los ist, fing sie an, auf ihrem Daumennagel zu kauen. Als hätte sie jetzt, wo ihre Mom sich aus dem Staub gemacht hat, nicht ohnehin schon mehr Probleme als andere Siebenjährige, auch ohne sich Geschichten über Worst-Case-Szenarien und sterbende Menschen anhören zu müssen. Wie viel wird sie davon schon verstehen, außer ein paar furchterregenden Bruchstücken?
Als Onkel Emmett alles gehört hatte, schüttelte er den Kopf.
»Wirklich großartig, was dieses tolle Forschungszentrum alles für die Insel geleistet hat«, sagte er. »Ein Glück, dass du damit beschäftigt warst, Algen zu studieren, während diese Krankheit sich bei uns eingeschlichen hat.«
»Emmett«, sagte Mom scharf, und er blickte sie böse an.
Ich hätte ihn in den Hintern treten können, doch Dad war anscheinend nicht beleidigt. Ich glaube, er hat sich inzwischen an Onkel Emmetts Sticheleien gewöhnt. »Du würdest staunen«, antwortete er. »Unsere Ausrüstung findet im Moment gute Verwendung, glaub mir.«
Onkel Emmett erhob sich und verkündete: »Gut, ich fang dann mal an zu packen.«
»Was?«, fragte Mom. »Wo willst du denn hin?«
»Ist das nicht egal?«, fragte er mit anschwellender Stimme. Meredith wurde unruhig, und ich drückte sie fester an mich. »Soll ich deiner Meinung nach warten, bis dieses Virus mich oder Meredith erwischt?«, fuhr er fort. »Wenn die Lage so ernst ist, wie Gordon sagt, bleibe ich auf keinen Fall.«
»Es geht nicht nur um dich und Meredith«, erklärte Dad. »Es geht um die ganze Welt. Nach dem, was wir wissen, könnte jeder von euch das Virus bereits in sich tragen. Wenn ihr die Insel verlasst, verbreitet ihr es weiter. Wir haben mit dem Gesundheitsamt gesprochen. Sie ziehen in Erwägung, auf dem Festland einen Quarantänebereich einzurichten, damit die Leute die Insel sicher verlassen können. Ihr müsstet für einen bestimmten Zeitraum unter ihrer Überwachung bleiben, und wenn sie sicher sind, dass ihr nicht infiziert seid, dürft ihr gehen, wohin ihr wollt. Ihr müsst nur noch ein paar Tage warten, bis sie so weit sind.«
»Ein paar Tage ?!«, brüllte Onkel Emmett. »Wieso haben sie nicht jetzt schon einen Ort, wohin wir gehen können? Zum Teufel mit dem Rest der Welt – ich habe das Recht, meine Familie zu schützen!«
Er regte sich immer weiter auf, und Mom warf mir derweil einen Blick zu, als stumme Aufforderung, der ich gerne nachkam. Ich nahm Meredith bei der Hand und brachte sie hoch in ihr Zimmer, wo das meiste, was ihr Dad sagte, nicht mehr zu hören war. Ihre Haare sahen ganz verstrubbelt aus, deshalb schnappte ich mir die Bürste von der Kommode und setzte mich mit ihr ans Fenster.
Tante Lillian hat ihr immer diese kleinen geflochtenen Zöpfchen am Kopf gemacht, um die ich sie jedes Mal beneidete, weil die bei mir nie halten würden. Denn obwohl meine Haare ebenso schwarz sind wie Moms, sind sie doch so fein wie die von Dad. Ich versuchte, ihre Technik nachzumachen, aber meine Zöpfchen wurden ganz unordentlich, mit herausstehenden Strähnen, nicht so schön glatt, wie sie eigentlich hätten sein sollen. Also machte ich Meredith stattdessen zwei dicke Rattenschwänze. Sie stand auf, um in den Spiegel zu schauen, und lächelte mich daraufhin an, obwohl die Zöpfe ganz schief geraten waren. Doch dann ließ sie plötzlich die Mundwinkel fallen.
»Stimmt das, was Onkel Gordon sagt?«, fragte sie. »Bin ich vielleicht schon krank?«
Meine Kehle wurde auf einmal ganz eng. »Eher nicht«, antwortete ich. »Nur ganz wenige Leute haben es. Und selbst wenn du krank wirst; bis jetzt hatten sie ja noch nicht so viel Zeit rauszufinden, wie man es heilt. Doch bald
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