Wir sind verbannt (German Edition)
erwiderte Mackenzie. »Es fing erst nach dem Mittagessen an. In der letzten Stunde hat sie angefangen, echt schlimm zu husten. Ich meine, allzu mies kann sie sich noch nicht gefühlt haben, weil sie danach noch zur Chorprobe gegangen ist. Ich dachte, sie hätte sich eine Erkältung eingefangen.«
Chorprobe. Mir fiel wieder ein, was Drew mir über die Mädchen in seinen Kursen erzählt hatte – ob sie wohl auch im Chor waren? Womöglich hatten sie neben Rachel gestanden, und sie hatte gehustet, und das war’s dann.
Vielleicht hatte ich letzten Dienstag das Glück meines Lebens, weil ich mich nicht mit dem Virus angesteckt habe, als ich sie besuchte.
Mackenzie rutschte ungeduldig auf der Bank hin und her und sagte: »Egal, wenn sie wirklich krank ist, kann man sowieso nichts machen. Da wäre man doch dumm hierzubleiben, wenn man genauso gut auch abhauen kann. Das gilt natürlich nicht für dich – ich meine, die brauchen schließlich deinen Dad und so. Aber der wird schon dafür sorgen, dass dir nichts passiert. Jeder, der dabei hilft …«
Ich überlegte kurz, ihr von Dads Theorie zu erzählen, warum niemand die Insel ohne ordnungsgemäße Vorkehrungen verlassen sollte. Aber so wie es Mackenzie immer reizte, sämtliche Regeln zu brechen, wäre das womöglich ein Grund mehr für sie gewesen, uns im Stich zu lassen.
Noch bevor ich mich entscheiden konnte, was ich sagen sollte, wandte sie sich um, und ihr Blick hellte sich auf.
»Hey«, sagte sie. »Das sind sie!«
Ich sah hinüber zur anderen Seite des Sees, wo eine Gruppe Typen aus unserer Schule stand. Ein paar davon aus unserer Jahrgangsstufe, einige jünger. Aber die meisten von ihnen waren Zwölftklässler. Ich konnte nichts Besonderes an ihnen erkennen.
»Und?«, fragte ich.
»Kennst du Gav?«, antwortete sie. »Den in dem roten T-Shirt?«
Ich kenne nicht alle Jungs aus der Zwölf mit Namen, doch der in Rot kam mir bekannt vor, besonders sein hellbrauner Strubbelkopf. Wahrscheinlich hatte ich ihn schon öfter auf dem Sportplatz an der Schule gesehen.
»Shauna hat von Anne gehört, die es von ihrem Bruder weiß, dass Gav diese Sache mit dem Fight Club aufgezogen hat«, sagte Mackenzie ganz aufgeregt. »Sie treffen sich heimlich, um sich zu prügeln. Das müssen sie sein! Ob sie es wohl auch hier draußen im Park machen?«
»Ganz schön schwierig für einen Kampf-Club, auf diese Weise geheim zu bleiben«, merkte ich an.
»Stimmt«, antwortete sie. »Aber trotzdem. Hier auf der Insel! Ganz schön verrückt.«
Als würden die Leute nur an Orten wie L.A. bekloppt-verrückte Dinge tun. Ich bin bloß überrascht, dass Drew noch nichts davon gehört hat. Vielleicht hat er ja und hat es nur nicht erwähnt.
»Vermutlich ist es das, worauf Jungs nun mal stehen«, sagte ich und versuchte, das Ganze von der rationaleren Seite aus zu beleuchten. »Aggressionen abbauen? Wie beim Football oder Ringkampf.«
Mackenzie kicherte. »Football ist diesen Typen da offensichtlich nicht tough genug«, sagte sie und warf einen Blick auf ihre Uhr. »Mist! Ich hab Mom versprochen, um fünf zurück zu sein. Ich muss los, sonst rastet sie total aus.«
Sie verabschiedete sich mit ihrer üblichen Bis-bald-Umarmung, die mich an die Rippen quetschende Umklammerung erinnerte, die Rachel mir bei unserem letzten Treffen verpasst hatte, und mich überkam die schreckliche Vorstellung, dass ich Mackenzie vielleicht nie mehr wiedersehen würde.
Als sie davonging, sah ich, wie sie sich an den Nacken griff, um sich zu kratzen. Dann rieb sie ihr linkes Handgelenk. Und plötzlich verspürte ich den Drang, hinter ihr herzurufen, sie solle das lassen.
Aber es kann einen ja auch ohne bestimmten Grund jucken. Vor fünf Minuten habe ich mich am Kinn gekratzt. Das muss schließlich nichts bedeuten.
Und selbst wenn, was hätte ich denn tun sollen?
20. September
Sechs Menschen sind schon gestorben. Die Amtsärzte verwehren jedem Patienten, der sich nicht in kritischem Zustand befindet, den Zutritt zum Krankenhaus, es sei denn, er zeigt Symptome des geheimnisvollen Virus. Dad sagt, das Gebäude habe schon jetzt seine Kapazitätsgrenze erreicht. Und einer der Ärzte ist inzwischen auch erkrankt.
Gestern hat Dad eine Packung Schutzmasken mit nach Hause gebracht. »Wenn ihr unbedingt rausgehen müsst«, erklärte er uns, »dann achtet auf jeden Fall darauf, dass ihr eine hiervon anhabt. Die Übertragung findet mit ziemlicher Sicherheit über die Atemwege statt.«
»Also weiß man nun schon
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