Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
haben wir es im Keller aufgehängt.« Wie diese Frau schreckten auch andere Befragte vor dem Aussortieren zurück, aus Angst, der Schenker würde die »Zurückweisung« entdecken.
Manchmal trat auch eine innerliche Loslösung ein. Lebensereignisse wie die Ankunft eines Babys, ein Umzug oder ein Arbeitsplatzwechsel führten zum Gefühl, ein bestimmter Gegenstand könne die eigene Identität nicht mehr wirklich repräsentieren. Aber auch unauffälligere Veränderungen – ein neuer Modetrend, Unzufriedenheit mit Aussehen oder Funktionalität eines Gegenstandes, ein Neuerwerb, der die Bedürfnisse besser befriedigt – konnten eine emotionale Kluft zwischen Besitzer und Objekten entstehen lassen.
Diese Phase war durchweg mit Ambivalenz verbunden. Viele der Studienteilnehmer beschrieben ihr Verhalten als zögerlich, weil sie meinten, die Gegenstände vielleicht doch noch mal brauchen zu können, oder sich durch sie mit anderen Menschen verbunden fühlten. Auf der anderen Seite war ihnen bewusst, wie aufwendig es war, diese Dinge weiter aufzuheben. Es war wie eine Abkühlungsphase, in der die Besitzer mit der Spannung zwischen Veränderungswunsch und Zweifel umgehen konnten. Irgendwann aber wurde eine Art Schmerzgrenze erreicht. »Manchmal noch zweifelnd, oft aber auch überzeugt«, schreibt Roster, »erkannten die Teilnehmer an, dass es nun Zeit sei, die Vergangenheit loszulassen und mit ihr die Dinge, die ihre vergangene Identität repräsentierten.«
◆ Physische Trennung: Nun erst wurden die Gegenstände tatsächlich abgegeben und verkauft, gespendet, weggeworfen oder verschenkt. Aber auch das passierte nicht einfach so. Um sich die Trennung leichter zu machen, nahmen manche Teilnehmer regelrecht Abschied von einer Sache und ließen noch einmal die mit ihr verbundenen Erinnerungen aufleben. Andere versuchten alle persönlichen Spuren zu eliminieren, indem sie Gegenstände reinigten oder in den Ursprungszustand zurückversetzten. Vielen Befragten lag es am Herzen, den neuen Besitzern den Wert des Gegenstandes zu vermitteln. Manche setzten Preisuntergrenzen, um bei den Käufern den Eindruck von Ramsch zu vermeiden. Andere erzählten den Abnehmern persönliche Geschichten über die Objekte.
◆ Reflexion und emotionale Trennung: Nach der physischen Trennung setzt die letzte Phase des Loslassens ein. Die Befragten dachten über die finanziellen, praktischen und psychologischen Folgen ihrer Entscheidung nach und auch über ihre Beziehung zu Besitztümern generell. Bei den meisten Teilnehmern löste diese abschließende Bewertung positive Gefühle aus. Sie fühlten sich erleichtert, nicht mehr für den Gegenstand verantwortlich zu sein, waren froh, mit einem Teil der Vergangenheit abgeschlossen zu haben, freuten sich über die wiedergewonnene Kontrolle über ihre Umgebung und die neuen Möglichkeiten, die sie nun ausschöpfen konnten.
Einige berichtigten allerdings auch über negative Gefühle. Eine Frau namens Jane beispielsweise haderte damit, Glasteller aus den 1920 er Jahren für ein paar Cent auf dem Flohmarkt verramscht zu haben: »Die erste Person, die kam, nahm alle mit. Sie waren etwas wert, und nun sind sie weg! Was habe ich mir bloß dabei gedacht! Sie gehörten meiner Großmutter!« Die Gefühle des Bedauerns oder des Verlustes konnten lange anhalten und die Teilnehmer regelrecht quälen.
Der Übergang vom bedeutsamen Gegenstand zu Gerümpel ist fließend, das wird mir durch die Lektüre von Rosters Studie klar. Dabei ist oft eine Identitätsveränderung die treibende Kraft. Wenn sich das eigene Selbstverständnis wandelt, können aus Besitztümern, die mal identitätsstiftend waren, Sachen werden, die kaum noch etwas mit der eigenen Person zu tun haben, beliebiger Kram, von dem man sich dann auch trennen kann.
Es gibt diesbezüglich kaum eine grundlegendere Veränderung, als in ein Kloster einzutreten. Deshalb besuche ich die Abtei Michaelsberg in Siegburg bei Bonn, um mich mit den Mönchen über das Loslassen von Dingen zu unterhalten. Dem Benediktinerorden beizutreten, bedeutet von einem Großteil seines Besitzes Abschied zu nehmen. Spätestens wenn man die ewigen Gelübde ablegt, muss man seine Sachen weggeben, an Freunde und Verwandte verschenken oder dem Kloster vermachen. Nur wenige persönliche Gegenstände darf man behalten.
Sich von seiner Habe zu trennen fällt nicht jedem leicht, erfahre ich von Altabt Placidus, als wir an einem Holztisch in dem nüchtern-altmodisch eingerichteten
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