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Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben

Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben

Titel: Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Schaefer
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Besuchszimmer Platz genommen haben. Der großgewachsene hagere 82 -Jährige, der mit einem rheinischen Akzent spricht, stand der Gemeinschaft dreißig Jahre lang vor. In seiner Funktion als Abt hatte er auch darüber zu entscheiden, welche Dinge ein Novize mitbringen darf oder ob ein Mitbruder ein Geschenk behalten kann. Er selbst, erinnert er sich, besaß praktisch nichts, als er 1948 ins Kloster kam: »Ich bin hier mit einer einzigen Hose eingetreten.« Das sei heutzutage natürlich anders. Heute hat jeder Vermögen in irgendeiner Form. Eine Verpflichtung, den persönlichen Besitz abzugeben, besteht zwar erst mit der Profess, erklärt er, »aber ein Novize kann hier nicht mit Dingen rumlaufen, die sich jemand anderes nicht leisten kann. Es muss zum Status des Hauses passen«. Manchem Novizen falle dies schwer: »Das Umfeld, von dem man geprägt wurde, ist oft viel zwingender als das, was man als Rechtsvorstellung hat.«
    Frater Josef, einer der jüngeren Mönche des Ordens und mein zweiter Gesprächspartner, hatte keine Probleme damit, seine Besitztümer aufzugeben. Dabei ist er offenkundig sehr weltzugewandt. Der lebhafte Vierziger mit dem sorgfältig gestutzten Bart und der sportlichen Brille benutzt Formulierungen wie »Das finde ich ätzend« und kennt sich mit MP 3 -Playern und Computern aus. Wenn er kein schwarzes Habit trüge, würde man ihn sicher nicht für einen Ordensmann halten. Der ausgebildete Krankenpfleger betreut den Gästebereich der Abtei und hat Anfang 2010 die ewigen Gelübde abgelegt.
    Als er vor fünf Jahren ins Kloster kam, erzählt er, hat er seinen Haushalt und die eigene Naturheilpraxis komplett aufgelöst. Das sei emotional unproblematisch verlaufen: »Mir war klar geworden, dies ist mein Weg, und da bereitete die Durchführung keine Schwierigkeiten mehr.« Sein Auto wurde dem Klosterbesitz einverleibt, auch das sei ihm nicht schwer gefallen. (»Was meine Beziehung zu Autos angeht«, sagt er lachend, »bin ich wohl ein untypischer Mann.«) Persönliche Dinge hat er nur wenige mitgebracht: ein paar T-Shirts und Hosen, die er nun unter dem Habit trägt, sonst vor allem Briefe, die ihm etwas bedeuten, und ein Kästchen mit Fotos aus früherer Zeit. Das sei seitens des Ordens völlig in Ordnung gewesen. Schwierig werde es allerdings, wenn ein neues Klostermitglied mit einem Möbelwagen voller Erinnerungsstücke vorfahre. »Da stellt sich die Frage: Lebt dieser Mensch mit seinen Sachen in der Vergangenheit und zieht sich nur ein Ordensgewand an, oder lässt er sich wirklich auf das Leben hier ein. Wenn man dem Orden beitritt, muss einem klar sein: Diese Gemeinschaft ist jetzt meine Familie, in die ich hineinwachsen muss. Das erfordert Veränderungen. Es ist einfach eine andere Lebensform.«
    Wo Altes schwindet, kann Neues wachsen
    Nur wenige Menschen außerhalb religiöser Orden befreien sich jemals so grundlegend von ihrem persönlichen Besitz. Doch auch im weltlichen Leben gibt es eine Vielzahl von Ereignissen, in denen man sich von Dingen trennt: der Übergang von der Jugend zum Erwachsenenalter, Umzug, Jobwechsel, der Tod des Ehepartners.
    In vielerlei Hinsicht sind Besitztümer wie Requisiten für einen Schauspieler: Wenn man in eine neue Rolle schlüpft, tauscht man auch die Requisiten aus. Solche Veränderungen in den Lebensumständen scheinen sogar der hauptsächliche Auslöser für den Abschied von Dingen zu sein. Die Konsumforscherin Melissa Young fragte Menschen im Alter zwischen 19 und 39 Jahren nach Gründen und Umständen, die zu einer Trennung von Gegenständen geführt hatten. Fast 50 Prozent der Geschichten, die sie hörte, betrafen einen Rollenwechsel in irgendeiner Form. Eine junge Frau hatte ihr Auto, das sie während ihrer wilden Schulzeit gefahren hatte, an ihren Bruder verschenkt, als sie »seriös wurde« und ein Universitätsstudium begann. Eine andere zerstörte eine Kollage, die sie für ihren Freund gemacht hatte, als die Beziehung auseinanderging und sie wieder Single war. Sachen loszuwerden hatte offenkundig einen tiefen symbolischen Wert. »Gegenstände werden nicht einfach aus einer Laune heraus aufgegeben«, bestätigt Young, »es sind sorgfältig geplante Manöver, die Rollenwechsel erleichtern und untermauern. Egal ob bewusst oder unbewusst, sie dienen dazu, Altes rauszuwerfen, um Platz für Neues zu machen.«
    Dieser »Rauswurf« kann ziemlich dramatisch sein. Manche Emigranten beispielsweise, die sich in der Ferne ein neues Leben aufbauen wollen, nutzen

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