Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
den Umzug, um sich in großem Stil von alten Besitztümern zu trennen. Dies gilt insbesondere, wenn dieser mit einem sozialen Aufstieg verbunden ist, wie eine Befragung von indischen Einwanderern in den USA zeigt. »In einer Zeit, in der es an formellen Übergangsriten fehlt, kann man so sein ganz persönliches Ritual in Szene setzen: Man ›reinigt‹ sich von alten Besitztümern, zieht dann in das andere Land um und nach einer gewissen Übergangszeit schafft man neue Besitztümer an, die die angestrebte Rolle symbolisieren«, schreiben die Initiatoren der Studie, Raj Mehta und Russell Belk.
Auch wenn es zu einer Scheidung kommt, entscheiden sich manche Menschen dafür, die Gegenstände aus der Ehe wie eine Schlangenhaut abzuwerfen. Der amerikanische Forscher James Alexander beschreibt die Fallstudie eines Mannes aus einfachen Verhältnissen, der sich im Abendstudium zum Anwalt weitergebildet hat und sich zunehmend für seine ungebildete Frau schämt, die weiter Sonderangeboten aus Billigläden hinterherjagt und ihn bei Treffen mit den neuen Kollegen blamiert. Als sie sich trennen, überlässt er ihr den gesamten Hausstand. Er will die Erinnerungen an das frühere Leben hinter sich lassen und lieber neue Sachen erwerben, die seinem veränderten Selbstbild mehr entsprechen. In Fällen wie diesen, so Alexanders Fazit, ist das Loswerden von Gegenständen emotional mindestens so wichtig und symbolträchtig wie der Neuerwerb.
Warum es mit dem Loslassen nicht immer klappt
Sich im Leben hin und wieder von Dingen zu trennen ist wichtig für unsere persönliche Entwicklung. Warum fällt uns der Abschied dennoch oft so schwer?
Die einschlägige Ratgeberliteratur nennt zahlreiche Gründe für eine »Trennungshemmung«: Nostalgie und liebgewonnene Erinnerungen, eine von den Eltern übernommene Wegwerfaversion, das »Vielleicht brauche ich es noch«-Syndrom, schlechtes Gewissen, Geiz, Gewöhnung, eine »Mehr-ist-besser«-Mentalität, eine Zwangserkrankung beziehungsweise ein »Messie-Syndrom«.
Ein besonders interessanter und unter Wissenschaftlern heiß diskutierter Grund allerdings taucht praktisch nie auf. Es handelt sich dabei um den sogenannten Besitztumseffekt (englisch: endowment effect ). Das Phänomen wurde vor dreißig Jahren erstmals von dem Ökonomen Richard Thaler, der zu den Begründern der sogenannten Verhaltensökonomik zählt und heute an der Universität von Chicago lehrt, so benannt. Es gibt eine Reihe unterschiedlicher Beschreibungen des Phänomens. Im Kern aber behauptete Thaler, ein Gegenstand gewinne für einen Menschen allein deshalb an Wert, weil er ihn besitzt.
In einem mittlerweile klassischen Experiment lieferte der Volkswirtschaftsprofessor Jack Knetsch 1989 handfeste Belege, dass der Besitztumseffekt tatsächlich existiert. Studenten, die am Anfang der Studie eine Kaffeetasse geschenkt bekamen, lehnten es ab, diese später gegen eine Tafel Schokolade einzutauschen, obwohl sie Tassen nicht bevorzugten, wenn sie direkt zwischen beiden Dingen wählen durften. Allein die Tatsache, dass ihnen die Tasse gehörte, führte offenbar dazu, dass sie in ihrer Wertschätzung stieg und ihnen plötzlich wertvoller erschien als eine als ursprünglich gleichwertig angesehene Tafel Schokolade.
In einer weiteren sehr einflussreichen Studie zeigten Thaler, Knetsch und der Psychologe (und Nobelpreisträger) Daniel Kahneman, wie stark dieser Effekt ist. Am Anfang des Experiments gaben sie der Hälfte der Teilnehmer eine Kaffeetasse und fragten, für welchen Preis sie das Stück verkaufen würden; die andere Hälfte, die keine Tasse erhalten hatte, sollte angeben, für wie viel sie die Tasse kaufen würde. Die Antworten fielen sehr unterschiedlich aus. Während die »Käufer« im Schnitt 2 , 87 Dollar pro Tasse boten, waren die »Verkäufer« erst ab einem Gebot von 7 , 12 Dollar bereit, sich von ihrer Tasse zu trennen. Durch den Besitz der Tasse erhöhte sich ihr Wert in den Augen des Besitzers also um das Zweieinhalbfache. In der Praxis mag das dazu führen, dass man für sein altes Fahrrad von einem Kaufinteressenten 50 Euro verlangt, während man selbst für ein vergleichbares Gefährt höchstens 20 Euro bezahlen würde. Viele Ökonomen waren von diesen Ergebnissen zunächst nicht überzeugt. Zu sehr schienen sie wirtschaftswissenschaftlichen Theorien zu widersprechen, in denen sich der Wert von Gegenständen nach streng rationalen Gesichtspunkten bestimmt. Der geforderte Preis für eine Tasse oder ein Fahrrad
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