Wir sollen sterben wollen Todes Helfer Ueber den Selbstmord - Warum die Mitwirkung am Suizid verboten werden muss Warum der Staat mit dem neuen Paragraphen 217 StGB die Mitwirkung am Suizid foerdern will
Anerkennung versagt werden und versagt bleiben. Dieser Überlegung kommt insbesondere angesichts der vorausgesagten demographischen Alterung unserer Bevölkerung eine besondere Bedeutung zu.
9. Die Selbsttötung ist Ausdruck einer Haltung, die ethisch gerade nicht mit der Autonomie des Menschen legitimiert werden kann. Die Autonomie, die als die Fähigkeit der menschlichen Vernunft, sich eigene Gesetze zu geben und nach diesen zu handeln, beschrieben werden kann, hat ihre Voraussetzung in der physischen Existenz der Person. Die Autonomie der Person ist Folge und nicht Ursache unserer biologischen Konstitution. Daher beschränkt sich die legitime Reichweite der menschlichen Autonomie auf den Bereich diesseits ihrer physischen Grundlage.
10. Mit dem Selbstmord verwirklicht der Mensch nicht etwa seine Freiheit; er beraubt sich ihrer, und zwar für immer. Der Suizid bringt unwiderruflich das Ende jeder Handlungsfreiheit mit sich. Der Begriff des »Freitodes« ist daher als zynisch abzulehnen. Eine wahrhaftige Medizin- und Bioethik setzt stets und zuallererst eine zutreffende Benennung der zu beschreibenden Phänomene voraus.
»Die Freiheit nehm’ ich mir.« Diesen doppeldeutigen Werbespruch eines international bekannten Kreditkartenunternehmens und die dazugehörige Melodie kennen wir alle. Aber was ist damit gemeint: Nehme ich mir die Freiheit heraus , oder nehme ich sie mir weg? Auf den »Freitod« übertragen bekommt der Satz eine makabre Bedeutung: Mit dem Suizid nimmt sich der Mensch tatsächlich die Freiheit weg , und zwar für immer. Die Selbsttötung bringt unwiderruflich das Ende jeder Handlungsfreiheit mit sich. So banal diese Erkenntnis auch sein mag, so sehr muss sie uns doch zum Widerspruch anregen, wann immer von der »Selbstbestimmung« am Lebensende die Rede ist. Hinterfragen wir die psychologischen, sozialen und ökonomischen Interessen, die hinter der organisierten Sterbepolitik stehen, und lassen wir uns nicht länger mit hohlen Phrasen über »Autonomie« ausgerechnet im Tod abspeisen. Nur wer nachfragt, erhält Antworten. Nur wer dem herrschenden Konsens der veröffentlichten Meinung widerspricht, kann etwas bewirken.
REINHOLD SCHNEIDER
ÜBER DEN SELBSTMORD
(1947)
Dulden muß der Mensch
Sein Scheiden aus der Welt, wie seine Ankunft:
Reif sein ist alles.
Shakespeare, König Lear V, 2
D er Selbstmord scheint eine Handlung letzter persönlicher Freiheit zu sein, die dem Menschen nicht genommen werden kann. Er verfügt über sein Leben; er gibt, wie ein Jüngling in einem Romane Dostojewskis einmal sagt, »seine Eintrittskarte zurück«. Aber schon die Wendung von der Eintrittskarte läßt uns stocken. Hat sie der Mensch denn bezahlt? Und von wem hat er sie empfangen? Ist das Leben eine Veranstaltung, die zu unserem Vergnügen unternommen wurde und die wir verlassen können, wenn es uns beliebt? Und wer hat sie getroffen? Und auf welche Weise wurden wir eingeladen, unter welcher Verpflichtung? Sind wir so ganz ohne Beziehung zu den Teilnehmern, daß wir sie verlassen können, wenn das Spiel uns langweilt oder wir es nicht mehr ertragen?
Alle Fragen des Daseins werden vom Selbstmord aufgeworfen. Es ist ein ungeheurer Vorgang, wenn ein Mensch Hand an sich legt, wenn er die Welt gleichsam aufhebt für sich. Es ist das entsetzlichste Nein, das gesprochen, getan werden kann, eine Empörung gewissermaßen gegen die Ursprünge selbst, gegen Vater und Mutter und die Vorfahren überhaupt, gegen einen jeden Lobpreis des Lebens, eine jede Sorge und Fürsorge, gegen alles, was besteht und was der Mensch bisher getan. Eine schrillere Dissonanz ist nicht denkbar: dem Orte, wo ein Selbstmord geschah, haftet das Odium des Furchtbar-Unheimlichen an, das Gefühl, daß hier etwas geschehen ist, was niemals hätte geschehen dürfen. Welcher Art auch der Glaube oder Unglaube, die Überzeugung der Menschen sein mögen, sie werden die Scheu vor der Tat und dem Orte schwerlich verlieren.
Die einfachste Entgegnung wäre die: daß der Mensch sich abwendet aus unerträglichem Zwang, zerstörenden Leiden in die Freiheit, den Schlaf, die Leidlosigkeit, das Nichts. Aber wie, wenn diese Worte sehr vorläufig wären, den Worten ähnlich, die der Satte vom Hungernden, der Behauste vom Flüchtling spricht? Auch im äußersten Falle kommen wir über den Einwand Hamlets – »wenn die Träume nicht wären« – nicht hinaus. Alles, was wir vom Entschluß zum Tode wissen, zu ergründen suchen, was uns die dazu Entschlossenen
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