Wir sollen sterben wollen Todes Helfer Ueber den Selbstmord - Warum die Mitwirkung am Suizid verboten werden muss Warum der Staat mit dem neuen Paragraphen 217 StGB die Mitwirkung am Suizid foerdern will
hinterlassen haben, rührt an das Geheimnis der letzten Sekunde nicht. Erst sie ist ganz ernst. Und eine letzte Sekunde kommt immer, sei sie der Augenblick, wo das Gift der zerbissenen Phiole in den Körper fließt oder die Mündung der Pistole an die Lippen rührt. Was geschieht dann? Was endet? Was beginnt? In welcher ungeheuren Entfernung vom eben noch gesprochenen, geschriebenen, gedachten Wort mag dieses Geheimnis geschehen!
Aber wir haben das Antlitz der Toten, das seine ergreifende Sprache spricht. Der Friede eines Lächelns verklärt sie, das kein lebendes Antlitz verklärt hat. Ist es das Lächeln des Freigewordenen – oder ist es das Zurücksinken der entschwerten Hülle, die nicht mehr von Bedeutung ist? Wenn es aber nur Hülle war, wo ist dann die Person, die den Tod getan, erfahren hat? Und wie hat sie ihn erfahren und angesichts welcher Dimensionen? Der Friede könnte wohl für den Schlaf sprechen; er könnte auch dafür sprechen, daß eine unbegreifliche Macht sich dessen erbarmte, der seine Form zerbrach; daß über dem Schrecken etwas beginnt und dieses Andere im Sichtbaren, in den Zügen des Toten, seine Sprache nicht mehr finden kann. Hier hören Schmerzen auf, und es ist wie ein beglückendes Atmen vor dem Einschlafen. Aber der Schlaf und der andere Morgen? Und wer schläft wohl in solchem Frieden ein, der sich nicht beschützt fühlt, der nicht in letztem Versinken ahnt, daß Einer über seinem Schlafe wacht? Das befriedete Antlitz dessen, der Hand an sich gelegt, ist das Rätsel über allen Rätseln; denn das Lebende sinkt schwerlich in das Nichts ohne Grauen; es sinkt befriedet nur in den Abgrund der Liebe.
Doch wir wissen auch von Gesichtern, auf denen ganz anderes steht; es sind Masken der Schmerzen, einer Not, die das Irdische sprengt. Es mögen Gesichter unter ihnen sein, die wie die aufgebrochene Tiefe selber sind, verletzte, zertrümmerte Gesichter, die doch nur die Andeutung der zertrümmerten Seele sind. Und wie viele Gesichter müßten wir fragen! Und wer mag sich vermessen, ihren Ausdruck zu deuten und ihnen eine Aussage abzulesen, die den Schleier hebt! Was wir auch sagen und denken mögen vom Geheimnis der letzten Sekunde, es ist alles vorläufig. Wir sollten bekennen: an die letzte Wahrheit und Wirklichkeit reichen wir nicht. Wir wissen nicht einmal, ob die Bezeichnung »Sekunde« noch zutrifft, noch redlich ist. Es könnte auch ein Anfang von Zeitlosigkeit sein, stehenden Schauens, Erfahrens, Leidens, für die wir keine Namen mehr haben. Und wie viele letzte Sekunden dehnen sich gewissermaßen ins Leben zurück! Es ist nicht jede Hand sicher, die sich gegen das eigene Leben erhebt. Das Bewußtsein, einen Frevel zu tun, könnte sie zittern lassen. Könnte nicht plötzlich der Gedanke die Tat durchkreuzen: Du gehst dorthin, wohin Du nicht gerufen bist? Wie wirst Du empfangen? Und die Verzweiflung wird dagegen sprechen: tue es doch. Und das Widerstreben vor dem Frevel meldet sich wieder. Aber der Abschied ist schon vollzogen, oder die Not, die Schmach wüten an der Tür und können im nächsten Augenblick einbrechen, und die Verzweiflung erzwingt die Tat. In einer entsetzlichen Verwirrung, Erregung geschieht das Ende, und der Unglückliche flieht gleichsam atemlos durchs Ziel. Unsere Sprache hat die Tat ja eindeutig bezeichnet: es ist Mord (das Wort »Freitod« ist nicht wahrhaftig; im Tode ist das Bestimmtsein, das der Freiheit widerspricht). Ist nicht der Leib im ersten, ursprünglichsten Sinne der Bruder, nach dem wir gefragt werden könnten wie Kain? So kann die »letzte Sekunde« zum ungeheuersten Drama werden, in der die Tat vielleicht nur halb gelingt, so daß über den Qualen des verwundeten Bruders Leib das Geheimnis, das im Fluge durcheilt werden sollte, über dem Verblutenden unerbittlich steht wie die Wüstensonne über dem todwunden Soldaten.
Lassen wir uns nicht täuschen mit den Worten unseres Bezirks über einen Bezirk, von dem wir nichts in Erfahrung bringen! Der Entschluß zum Tod ist der Entschluß zu einer ehernen Wirklichkeit. Und ob wir nun glauben oder nicht, das Eine müßten wir uns doch sagen: Wir haben kein Recht, das Andere, zu dem wir uns entschließen, »Schlaf« zu nennen. Schlafen: das heißt wieder erwachen. Wir schlafen nur auf fester Erde, gesichertem Grund. Hier aber heben wir den Grund auf – von nun an wird alles ungewiß, ist Unerhörtes, Unausdenkbares möglich.
Freilich erwartet dieses Unausdenkbare alle; die sich zu ihm entschließen,
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