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Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Titel: Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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sie Routine darin. St. Vieth war ein beliebter Einflugpunkt für die Mosquitos. Wurde St. Vieth im Funk genannt, knallte es genau elf Minuten später in Köln.
    Die Gärtnerei wurde zweimal getroffen. Einmal schlug ein Blindgänger in eine Wiese hinter dem Haus ein. Ein anderes Mal gingen durch den Luftdruck einige Gewächshausscheiben zu Bruch. Außerdem flogen ein paar Dachpfannen. Die Schäden waren zu bewältigen.
    Ende April gaben die Engländer Tempo. In achtunddreißig Minuten warfen Hunderte von Bombern ihre Last über der Stadt ab, wobei die schon vorhandenen Trümmerfelder sorgfältig ausgespart wurden. Achthundert Tote, Tausende von Verschütteten. Zum ersten Mal wurden Bagger zum Räumen eingesetzt. Lagusch, Franzi, Fatz, Frau Rose, Paul und Hennes waren in der Stadt, oder in dem, was noch übrig war, und schufteten in den Trümmern. Die Feldarbeit in Widdersdorf musste trotzdem getan werden. Pflügen, eggen und düngen. Die Gräben mussten entschlammt und die Jungpflanzen hinausgefahren und gesetzt werden. Werner hielt Stallwache in der Gärtnerei.
    Lagusch und Werner taten daneben noch, was sie gut konnten: Sie organisierten. Paul half mit bei ihren Schwarzmarktgeschäften und Schiebereien. Er lernte schnell und hatte einen Blick für alles, was sich irgendwie verscherbeln oder tauschen ließ. Frau Rose räumte ihre Schränke aus. Bettwäsche gegen Gänse oder Speck. Tischdecken gegen Brot. Sie fuhren weit ins Umland, klapperten die Höfe im Vorgebirge ab oder versuchten es im Bergischen.
    Die eigentliche Kunst bestand darin, sich nicht erwischen zu lassen. Weder von der Feldgendarmerie noch von den Dorfpolizisten. Beide machten Jagd auf alles, was sich auf der Straße bewegte. Man blieb unauffällig und nahm sich in Acht vor Uniformen und Spitzeln.
    In der Gärtnerei legten sie zusammen, aßen aus einem Topf und kamen irgendwie über die Runden. Frau Rose hielt den Laden zusammen. Sie war streng und manchmal waren ihre Entscheidungen hart.
    Sie zog sogar Bastian und Ralle mit durch, die sich irgendwie über Wasser hielten. Ob Frau Rose von Bastians und Ralles Leben im Untergrund wusste, konnte Paul nicht sagen, weil sie nicht darüber sprachen. Stumm und unauffällig sorgte sie dafür, dass immer etwas Essbares bereitlag, wenn Paul nach Melaten aufbrach und das ehemalige Sarglager auf der Südseite aufsuchte. Der Schlüssel lag unter der Regentonne. Paul deponierte Vorräte und saubere Klamotten. Wichtiger waren für Bastian aber Briefe aus Pfronten, Nachrichten von Hotte und Neuigkeiten aus dem EL-DE- Haus. Alles eben, was Bastian und Ralle an ihr früheres Leben erinnerte und was für ihr jetziges von Bedeutung sein könnte.
    Fatz arbeitete seit einiger Zeit auch in der Gärtnerei und Lagusch hatte ihm ein Zimmer abgetreten. Mit dem alten Nazi kam Paul immer noch nicht klar. Fatz schien damit kein Problem zu haben. Er war ganz versessen auf die Geschichten, die Lagusch gerne zum Besten gab. Wie die SA den Bürgermeister Adenauer vertrieb und wie 1936 die Reichswehr in Köln einmarschierte. Vor allem erzählte er gerne davon, wie der raffinierte Lagusch in wirren Zeiten zurechtkam und dem Schicksal so manches Schnippchen schlug.
    Werner und Lagusch besorgten sogar Futter für Hennes. Dabei war es unter Strafe verboten, Getreide an Tiere zu verfüttern.
    »Wir müssen zusehen, dass wir den Gaul halten«, sagte Werner. »Ich brauche seinen Mist, bester Kompost für unsere Tomaten. Es gibt nämlich nur zwei Dinge, die man für Geld nicht kaufen kann. Und das sind wahre Liebe und selbst gezogene Tomaten.«
    Paul vermutete, dass er das Pferd fütterte, weil es den Wagen ziehen musste und weil man Hennes, natürlich nur im äußersten aller Notfälle, schlachten konnte.
    Über den Krieg stritten Werner und Lagusch nicht mehr. Laguschs Devise war jetzt: Nachdenken bringt unsereins nur durcheinander. Man darf es gar nicht erst so weit kommen lassen. Nur wenn es um den Führer ging, kannte er kein Erbarmen. Treue um Treue, das stand für ihn fest. Und wenn es irgendeine Schweinerei der Nazis gab, murmelte er entschuldigend: »Der Führer kann nicht alles wissen.«
    Irgendwie ging es weiter und der Alltag lenkte sie ab. In der Gärtnerei dröhnte der Volksempfänger. Manche empfanden die immer mehr geschönten Kriegsnachrichten als bedrückend. Nach dem »totalen Krieg« ging es jetzt um den »Endsieg«. Und es ging um »Wunderwaffen«. Im Stall zog man die BBC vor. Die sowjetische Armee hatte die Krim

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