Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
anders vorgestellt: Die Guten gegen die Bösen und die Guten gewinnen. Aber dass ich jetzt abends bei Otto in der Küche sitze, seiner Freundin beim Häkeln zugucke und mir die immer gleichen Otto-Geschichten anhöre, hätte ich nie gedacht. Da war ja bei dir im Pferdestall mehr los.« Bastian fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Ich vermisse den Takubunker, euch, die Edelweißpiraten, das Klampfen, die Randale mit der HJ . Und die wirklichen Pläne. Heidewitzka! Und dann morgens zur Arbeit. Mann, war das schön.«
Paul lachte. Offenbar fand er Bastians Begeisterung lustig.
»Ich will zum Blauen See«, sagte Bastian. »Verdammt noch mal. Einmal noch.«
»Hast du dich schon mal gefragt, was das alles bringt? Ich meine, deine Sache mit Otto? Otto hat große Pläne und aus denen wird oft nichts. Oder habe ich da was falsch verstanden? Du könntest doch abhauen«, schlug Paul vor.
»Nein, nein. Otto macht schon was«, meinte Bastian und dachte an Deserteure, denen Otto bei der Flucht half, er dachte an Juden, die Otto versteckte und versorgte. Und für die er Ausweise besorgte. Das war schon was. Aber von alldem bekam man verflixt wenig mit. Und nur Otto war mittendrin, sie waren nur die kleinen Zahnräder in einem großen Getriebe.
Paul blinzelte jetzt ins Licht, kniff ein Auge zu und verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. Es war für Bastian schwer zu durchschauen, was er gerade meinte. Bei einem wie Paul, der nicht viele Worte machte, musste man nach anderen Zeichen suchen. Nach einem spöttischem Lächeln etwa oder einem Naserümpfen. Nach Augen, die sich zu Schießscharten zusammenzogen. All das bedeutete immer etwas.
»Abhauen kommt für mich nicht infrage, Paul. Ehrensache. Ich weiß zwar nicht, wie das hier endet und was aus uns wird. Aber da bin ich stur. Was ist mit dir? Denkst du an Abhauen?«
»Kann schon sein«, murmelte Paul, »mir geht etwas ganz anderes durch den Kopf ...«
Bastian stand auf und beugte sich über den Rucksack. Umständlich öffnete er den Verschluss und zog eine Jacke heraus. Er wühlte in den Taschen und fingerte eine zerdrückte Zigarettenschachtel heraus. Er hielt Paul eine Zigarette hin.
»Hier«, sagte er, »habe ich mir extra für diesen Tag aufgehoben.«
Paul nahm die Zigarette vorsichtig zwischen zwei Finger und roch daran. »Gut«, sagte er lächelnd, »das sind Ägyptische. Lagusch hat die geraucht, als wir noch im Überfluss lebten.«
»Lange her«, sagte Bastian und kramte nach seinem Feuerzeug.
»Ja, manchmal weiß ich nicht, wo die Zeit geblieben ist.«
»Du wolltest erzählen, was dir so durch den Kopf geht.«
»Es ist diese Gestaposache. Du weißt schon.«
Bastian musste grinsen. Gestaposache. So nannte Paul seine kümmerliche Existenz als Spitzel. Er schämte sich sehr dafür. Er druckste herum und redete es sich harmlos.
»Du musst dich nicht entschuldigen, Paul.«
Paul sah angewidert auf die glühende Spitze seiner Zigarette. Die konnte allerdings am wenigsten dafür. Er nahm einen tiefen Zug und hustete.
»Ich habe ein Mädchen, ein Pferd und eine Pistole. Mir ist es nie besser gegangen. Und ausgerechnet jetzt schickt Ziegen mir seine Greifer auf den Hals, nur wenn ich bloß mal versuche, eine Verabredung mit ihm zu schwänzen. Die fühlen sich in der Gärtnerei schon wie zu Hause. Neulich haben sie sogar Kaffee mitgebracht. Echten Bohnenkaffee. Wegen der Umstände, die sie machen, haben sie gesagt. Und Blumen hätten wir ja selbst. Ich finde das echt zum Kotzen. Lagusch wird nervös. Der hat eine Heidenangst, dass die was von seinen Schiebergeschäften mitkriegen. Aber sie lungern nur rum, schäkern mit Frau Rose und Franzi und kommen ins Plaudern.«
»Warum schwänzt du die Verabredungen? Geh hin. Hör dich um. Bring viel in Erfahrung. Vielleicht erfährst du ja etwas, was für uns nützlich sein könnte.«
»Etwas habe ich schon erfahren: Ziegens Kommando zieht nach Brauweiler. Und sie haben SS in der Stadt, einen Spezialtrupp für außerordentliche Befriedungsaktionen, also für Mord und Totschlag und für solche wie uns. Es geht offiziell gegen das Bandenwesen in der Stadt, gegen die Deserteure, die geflohenen Zwangsarbeiter.«
»Brauweiler.« Bastian dachte nach. »Dann wird denen das EL-DE- Haus zu eng. Kannst du herausfinden, was sie mit den Gefangenen machen, wenn sie mit ihnen fertig sind? Ich meine die, die sie nicht hier verscharren.«
»Du denkst an Billi? Ich frage mich, wie sie es bis jetzt geschafft hat, den Mund zu
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