Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
halten.«
Bastian antwortete nicht auf die Frage. Obschon auch er Billi im Stillen bewunderte.
»Otto schickt Ralle und mich nach Hürth. Dort steht in einem Hühnerstall ein Auto. Ich soll versuchen, es in Gang zu bringen. Keine Ahnung, ob es geklaut ist oder ob es durch Schiebergeschäfte in Ottos Hände kam. Auf jeden Fall ist es da und wir reparieren es. Dann bringen wir es nach Köln. Kann eine Weile dauern.«
»Dann machst du ja doch noch dein Gesellenstück.«
»Ja. Sieht fast so aus.«
VON
DER STADT
HER hörte Paul Bombeneinschläge. Die Amis hatten es wieder auf den Bahnhof abgesehen. Vor wenigen Tagen war er in der Altstadt unterwegs gewesen. Plötzlich waren die Flieger über ihm und dann zuckte der Boden unter seinen Füßen, fast in Wellen. Es war seltsam. Er hatte es sich später erklären lassen. Das waren Bomben, die in den Rhein fielen, wenn die Flugzeuge auf die Brücken zielten. Sie explodierten im Wasser und dann drückten sie das Grundwasser hoch.
Die Langeweile unter einem bombenlosen Himmel konnte Paul sich überhaupt nicht mehr vorstellen. Der Krieg gehörte inzwischen zu seinem Leben.
Und gerade im Mai 1944 hatte es jede Menge Angriffe gegeben. Fünf schwere Bombardements hatten sie in dieser kurzen Zeit erlebt und das schlimmste am Pfingstsonntag. Die Massengräber wurden immer zahlreicher.
Nach der Invasion der Alliierten in der Normandie gab es kaum noch Wehrmacht in der Stadt. Selbst die Flakbatterien wurden zu großen Teilen verlegt. Feldküchen standen in den Straßen. Wasserwagen der Wehrmacht versorgten die Stadtbewohner mit Trinkwasser. Man lebte von der Hand in den Mund, und Tiefflieger machten Jagd auf alles, was sich bewegte. Paul hoffte, dass es jetzt ganz schnell gehen würde. Es konnte nur noch eine Frage von Wochen sein, bis die Alliierten in Köln wären, wenigstens im linksrheinischen. Aber bevor es so weit war, bevor es besser wurde und sie die Nazis los wären, würde es erst mal noch schlimmer werden.
Jetzt wurden auch die Vororte bombardiert und die Einschläge rückten nahe an die Gärtnerei heran. Fatz hatte sich auf den Äckern in Widdersdorf eingenistet: Tagsüber schuftete er auf dem Feld, nachts bewachte er das Gemüse. Jungs aus dem Erziehungslager Brauweiler wurden jeden Tag zu diesen Arbeiten herangekarrt. Fatz sagte, das seien alles noch richtige Kinder, weil die Älteren längst am Westwall kämpften, schon gefallen oder aber in Gefangenschaft waren. Fatz und seine Truppe legten in Widdersdorf wegen der Tiefflieger Splittergräben an. Ihre Welt wurde kleiner, bestand nur noch aus der Gärtnerei, den Feldern und den Friedhöfen. Die Stadt leerte sich. Wer konnte, ging weg.
Am 20. Juli explodierte in der Wolfsschanze, dem Führerhauptquartier in Ostpreußen, eine Bombe. Paul und Franzi standen am Ende dieses Tages im Hof der Gärtnerei. Es war fast Mitternacht und sie hatten Kränze gebunden. Über Köln funkelten die Christbäume in Rot, Grün, Blau und Weiß. Der Flaksender tickte zwischen den Meldungen und aus dem Lautsprecher des Radios hörten sie Adolf Hitler: » ... damit das deutsche Volk meine Stimme hört ...« Irgendwo schlug eine Bombe ein, die Leitung riss und die Stimme im Lautsprecher erstarb. Sie hatten sich überrascht angesehen und nicht wirklich verstanden, was passiert war. Und worüber sollten sie sich aufregen? Inzwischen hatten sie so viel erlebt. Was sollte sie noch berühren?
Als Franzi und Paul am nächsten Tag in der Zeitung lasen, was geschehen war und dass Hitler nicht tot war, zuckte Franzi bedauernd mit der Schulter und wischte sich eine Träne aus den Augenwinkeln. Über der Stadt lag tagelang eine angespannte Stimmung. Alles hätte passieren können. Überall war Wehrmacht und SD. Paul ging nicht zum EL-DE- Haus. Er ließ seinen Routinetermin verstreichen. Nichts geschah. Keine Schlapphüte erschienen in der Gärtnerei, kein Auto, das ihn abholte. Dann sprach Hitler im Radio. Und dann war alles wie immer.
Nicht ganz.
Ziegens Kommando war jetzt endgültig nach Brauweiler gezogen. Dort hatten sie sich mit ihren Gefangenen verschanzt. In die Altstadt traute sich die Gestapo nur noch schwer bewaffnet. Gerüchte machten die Runde. Von geflohenen Kriegsgefangenen und getürmten Ostarbeitern war die Rede und von untergetauchten fahnenflüchtigen deutschen Soldaten. Es kam zu Schießereien.
Paul ging zum EL-DE- Haus. Nicht, weil ihm die Gestapo fehlte. Sondern weil er keine Ahnung hatte, wo Bastian steckte, und weil er
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