Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
gefetzt. Und wutsch, schon waren die Räuber über alle Berge.«
»Klasse«, sagte Elli. »Richtig klasse!«
»Ja«, antwortete Herr Wutz. »Und sie lebten glücklich und zufrieden.«
»Schade, dass das nur ein Märchen ist«, flüsterte Elli Herrn Wutz ins Ohr. »Mein großer Bruder hat nämlich auch Freunde. Mehr als drei. Und die könnten tausend Räuber vertreiben.«
»Schön, dass du so einen großen Bruder hast«, mischte Paul sich lächelnd ein. Er stand in der Tür, gewaschen und gekämmt.
»Elli, ich schreibe dir die Geschichte auf, und dann malen wir Bilder dazu. Bald hast du ein richtiges Märchenbuch.« Bastian stand auf und stemmte die Kleine in die Luft. Dann setzten er und Paul sich an den Tisch.
Schweigend löffelten die beiden Jungen den Eintopf. Paul bemühte sich, nicht zu schlingen, obschon sein Hunger riesig war. Als sie aufgegessen hatten, sagte Bastian: »Wir sollten jetzt gehen.«
»Räuber vertreiben? Ich will mit«, rief Elli. »Bitte, bitte!«
»Ihr solltet jetzt nirgendwo mehr hingehen. Und du, kleines Fräulein, erst recht nicht.« Frau Freis Stimme klang hart und bestimmt. Sie schob Elli zur Oma ins Schlafzimmer. Dabei wusste sie wohl genau, die beiden Jungen würden jetzt aufstehen, Paul würde seinen Rucksack nehmen und dann würden sie in den Abend verschwinden. Also sagte sie nur noch: »Passt auf euch auf. Paul, ich wünsch dir viel Glück.«
»Danke«, sagte Paul. »Kann ich gebrauchen.«
DIE
TREPPENSTUFEN
KNARRTEN unter ihren Füßen. Bastian schloss leise die Haustür. Die Nachtluft war kühl.
»Puh«, sagte er und atmete tief ein. »Mutter meint das nicht so. Es ist nicht gegen dich. Es ist einfach die Angst. Alles, was von ihrem Leben übrig geblieben ist, sind schlaflose Nächte und quälende Sorgen.«
»Kann ich verstehen.« Paul legte die Hand auf Bastians Arm. Eine unüberlegte Geste.
Blitzschnell griff Bastian nach Pauls Handgelenk und drehte ihm den Arm auf den Rücken. Pauls Kopf stieß gegen die Hauswand und Bastian kroch ihm beinahe ins Ohr. »Jetzt hör gut zu, Paul! Noch einmal kommst du mir nicht mit einer Waffe in meine Familie. Dann leg ich dich um, kapiert?« Er stieß ihn weg und schnappte sich Pauls Rucksack.
Wortlos stiefelten sie durch die nachtdunklen Straßen. Der Himmel lag wolkenverhangen über der Stadt. Keine Flugzeuge, keine Sirenen. Nur im Westen und Norden von Köln suchten die Scheinwerfer der Flak- Batterien den Himmel ab.
»Zweimal links«, sagte Bastian. »Bis zum Ehrenfelder Bahnhof. Dann die Apfelbaumchaussee an den Schienen entlang bis zur vierten Brücke. Dann nach rechts in die Kleingärten. Kannst du dir das merken?«
Er wartete Pauls Antwort nicht ab. Sie überquerten eine Straßenkreuzung, kletterten einen Bahndamm hinunter und stolperten über Gleise. Sie landeten vor einem rostigen eisernen Tor mit einem Korbbogen aus geflochtenem Draht. Jemand hatte versucht, Rosen zu pflanzen.
»Das hier ist die reinste Idylle«, sagte Bastian und grinste. »Bei Tageslicht wirst du es auch sehen.«
Hinter dem Tor begann ein schmaler Weg. Er trug Schichten aus Kies, Sand, Schotter und Gehwegplatten. Bunt und holperig. Rechts und links waren Gärten abgetrennt. Parzellen, kaum größer als zehn Schritte breit und zwanzig Schritte tief. Dazwischen Sträucher. Beete. Kein Rasen weit und breit. Kartoffeln, Tomaten, Strauchbohnen, Kletterbohnen und viel Kohl. Keine Krume Erde war verschwendet. In einigen Gärten standen Buden. Grob gezimmerte, zusammengeschusterte Bretterkästen für die Geräte, zum Schlafen, zum Ausruhen, gegen Sturm und Regen. Es roch nach Pferdemist.
»An die Leute hier wirst du dich gewöhnen. Sie kommen und gehen und haben kein großes Interesse an Gesellschaft. Außer vielleicht Opa Tesch. Der hat kein Dach mehr über dem Kopf. Letzten Monat hat er seine Frau begraben.«
Paul blieb stehen und rieb sich das Kinn. Er zögerte.
Bastian sah ihn ernst an. »Kommst du hier klar?« Er ließ Paul stehen und hob winkend die Hand. Hinter der Hecke grüßte ein Mann in pechschwarzer Joppe und mit wirrem langem Haar. Er stützte sich müde auf einen Handstock und paffte Rauchwolken in den Nachthimmel.
»Klasse«, sagte Paul tonlos. »Es ist großartig.« Er schluckte und räusperte sich: »Das mit der Waffe tut mir leid. Ehrlich. Ich habe einfach nicht nachgedacht.«
»Vergessen wir es, Paul. Für heute.«
Hinter der Hecke am Eingang zu der Parzelle wartete Hotte. Knarrend öffnete er die Tür zur Laube. Die Bude hatte
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