Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
Augen zusammen.
»Jetzt dreh dich nach links und mach die Augen auf«, befahl der Beamte.
Helle Kreise tanzten in Bastians Sichtfeld. Der SD-Mann drehte ihn für eine dritte Aufnahme noch einmal rechts herum. Erneut traf ihn das grelle Licht.
»Bring ihn zu den anderen und dann runter mit ihnen!« Sofort spürte Bastian den harten Griff an seinem Oberarm.
»Zu Befehl«, brüllte der SD-Mann direkt an seinem Ohr. »Los, los! Alle aufstehen! Vorwärts! Reihe bilden und stillgestanden. Hände auf den Rücken. Kellermeister Föls wartet nicht gern.«
Föls! Den Namen kannte jeder. Ein mitleidloser Schläger, der mit Spaß bei der Sache war. Die schlimmsten Geschichten über ihn machten unter den Edelweißpiraten die Runde. Und jetzt stand er vor ihnen, klein, gedrungen, bekleidet mit einem kurzärmligen Hemd und Stiefelhosen. Die Hose steckte in hohen schwarzen Stiefeln und Hosenträger wölbten sich über seinem Bauch. In der Hand hielt er eine Hundepeitsche. Am linken Arm trug er die SS-Kampfbinde.
»Warum bist du hier?«, schrie er Hotte an.
»Ich weiß es nicht, Herr Föls.« Hotte achtete darauf, starr geradeaus zu blicken.
»Dann werden wir es herausfinden«, brüllte Föls.
»Jawoll, Herr Föls«, brüllte Hotte zurück.
Föls senkte die Stimme: »Du hast ausgesprochen gute Manieren. Warst du schon mal hier?«
»Nein, Herr Föls. Habe von Ihnen gehört.«
»Nur Gutes?«
»Nur Gutes.«
»Wir werden uns gleich etwas genauer unterhalten.«
»Und du?« Nur eine Handbreit entfernt stand Föls nun vor Bastian. Bastian sah seine dicke Nase, die grobporige Haut, die ratzekurzen Haare.
»Ich weiß es nicht«, flüsterte er.
»Bitte? Ich habe dich nicht verstanden«, antwortete Föls genauso leise und grinste ihn schief an.
»Ich weiß es nicht!«, rief Bastian. Panik packte ihn.
»Ach, du weiß es nicht!« Ein Peitschenhieb traf Bastian quer über die Beine und ließ ihn vor Schmerz laut aufjaulen.
»Heute weißt du es vielleicht nicht, aber morgen fällt es dir garantiert wieder ein. Und du wirst es nie wieder vergessen. Dafür werde ich sorgen.« Föls ließ von Bastian ab und verteilte die Gefangenen auf die Zellen. Er trieb Bastian den schmalen Flur entlang zur Zelle 8, öffnete die schwere, mit braunem Stahlblech beschlagene Tür und stieß Bastian hinein.
Er stolperte vier, fünf Schritte nach vorne und landete auf dem kalten Steinboden in einem Gewirr von Beinen und Körperteilen, die man im Dunkeln kaum unterscheiden konnte.
Die Tür flog krachend ins Schloss. Es stank fürchterlich. An der Stirnwand war nahe der Decke ein kleines mit Eisengitter und Drahtglas gesichertes Fenster. Ein schmaler grauer Lichtstreifen kroch an der rechten Steinwand entlang. Eine trübe Funzel spendete ein spärliches Licht. In der Tür war eine eiserne Klappe eingelassen. Darüber ein Türspion. Rechts und links ertastete Bastian metallene Pritschen. Er stöhnte und fluchte leise.
»Halt den Mund, verdammt«, flüsterte eine Stimme.
Bastian konnte sich nicht bewegen, ohne jemanden anzustoßen. Er war durstig. Seine Zunge klebte pelzig am Gaumen. Gesicht und Beine taten höllisch weh.
»Hotte?«, flüsterte er in die Dunkelheit. Doch es kam keine Antwort. Nur Stöhnen und leises Weinen waren zu hören.
Langsam gewöhnte er sich an das Zwielicht. In der Ecke plätscherte es. Jemand stand, eine Hand gegen die Wand gestemmt, aufrecht und pinkelte in einen Eimer.
»Kannst du nicht bis morgen früh warten?«, ertönte eine ungehaltene Stimme aus der Fensterecke. »Es stinkt hier schon genug.«
»Leck mich«, sagte der aufrecht Stehende. »Was muss, das muss. Und halt dein Maul, sonst piss ich dir ans Bein.« Das war Hotte. Gott sei Dank, dachte Bastian. Er versuchte, sich zu einem Platz an der Wand durchzukämpfen.
Die Mauer war grau und glatt. Unregelmäßige dunkle Schatten bevölkerten sie. Schriftzeichen, Bilder? Entziffern konnte Bastian sie nicht. Schließlich ließ er sich an der Wand heruntergleiten, setzte sich auf den Boden und zog, wie die anderen, die Beine eng an den Körper. Er lehnte den Kopf an die Wand und schloss die Augen. Er hatte Angst vor dem kommenden Tag, aber noch größer war die Furcht, hier zu krepieren. An Schlaf war nicht zu denken.
Sein Herzschlag beruhigte sich nur langsam. Er saß dicht an die Wand gepresst und atmete flach in seine Armbeuge. Der Hemdenstoff nahm etwas von dem Gestank.
Jemand pfiff. Edelweißpiraten sind treu ... Füße stampften den Takt. Zwei, drei Stimmen
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