Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
nach Kaffee und Zigarette. Er zog eine Handvoll Fotos aus dem Ordner.
»Ich will nicht lange drum herumreden«, sagte er in sachlichem Ton. »Das sind Fotos von Fahrten und Wanderungen der Edelweißpiraten. Dieses hier ist besonders interessant. Die Gestapo hat es aufgenommen, als ihr Ostern 1942 bei einer Fahrt an den Blauen See im Siebengebirge in Königswinter über den Rhein gesetzt habt. Danach habt ihr euch eine Schlägerei mit der HJ geliefert. Erinnerst du dich?«
Bastian zuckte zusammen und biss sich auf die Lippen. Dabei konnte er sich auf keinem der Bilder erkennen. Aber er erinnerte sich genau. Am Drachenfels hatten sie eine Schlägerei mit einem großen HJ -Trupp. An der Fähre nach Bad Godesberg warteten dann Gestapo und SS. Bastian war mit einer Gruppe über die Felder getürmt. In Bonn bestiegen sie die Vorgebirgsbahn und schlugen sich mit viel Glück bis Köln durch.
»Ich weiß immer noch nicht, wovon Sie reden.«
Ziegen lächelte ihn kalt an. »Schon klar, Frei. Ich weiß auch nicht, wovon ich rede. Ich habe mir das alles nur ausgedacht.« Er schlug kurz mit der flachen Hand auf die Tischplatte. »Du glaubst tatsächlich, ich vertrödele hier meine Zeit?« Drohend beugte er sich nach vorne.
Bastian wich zurück. Auf keinem der Fotos hatte er sich erkannt. Alle anderen schon. Auch Hotte. Er würde einfach leugnen, dabei gewesen zu sein.
»Glaub mir, wir haben deinen Vater kleingekriegt und dich kriegen wir auch klein.« Ziegen stand auf und ging zum Fenster. Die Fußbodendielen knarrten. Er wandte Bastian den Rücken zu. »Komm doch mal her, mein Junge, und genieße mit mir die Aussicht.«
Bastian zögerte.
»Na, komm schon«, forderte Ziegen ihn auf. »Du verpasst sonst was.«
Langsam ging Bastian zum Fenster und stellte sich neben die wuchtige Gestalt Ziegens. Er wusste nicht, was Ziegen ihm zeigen wollte. Die Sonne schien auf die imposante, beinahe einschüchternde Fassade des Gerichtsgebäudes gegenüber. Von einem Lastwagen wurden Möbel abgeladen. Ein Pferdefuhrwerk zuckelte über die Straße.
Eine Frau mit einem kleinen Mädchen an der Hand stand vor dem EL-DE- Haus und sprach mit dem Wachposten. Das Mädchen trug eine Puppe im Arm und hielt sich an der Frau fest. Die Puppe hätte Antonia sein können, Ellis Puppe, die sie nie allein ließ. Das Mädchen hätte Elli sein können, die Frau seine Mutter. Ziegen stand neben Bastian und zupfte sich eingebildete Flusen vom Hemd. Er machte das mit aufreizend beiläufigen Handbewegungen und tat hochkonzentriert.
»Na, Junge. Das sind doch Aussichten.«
Bastian musste sich von dem Bild lösen, sonst würde er dem Oberkommissar an die Kehle gehen. Er stellte sich vor, wie der Dicke nach einem harten Tag im EL-DE- Haus in die Eckkneipe latschte, sich ein paar Kölsch hinter die Binde kippte und sich später zu Hause über den Cognac hermachte. Nur so, zur Entspannung. Vielleicht saß er ganz friedlich in einem Sessel, den Völkischen Beobachter auf dem Schoß und die Stimme des Führers im Volksempfänger. Danach Schlagermusik. Dass dieser Mann Familie hatte, eine Frau und Kinder, war für Bastian nur schwer vorstellbar. Ziegen hatte nichts. Nicht einmal einen Hund. Der hatte nur sich und die Gestapo.
»Sie Schwein«, murmelte Bastian gepresst.
»Das will ich mal überhört haben. Und jetzt auf deinen Stuhl und an die Arbeit.« Mit einer gleichgültigen Geste schob er Bastian ein Blatt Papier und einen Stift hin. »Du schreibst mir ein paar Namen auf. Wen erkennst du auf den Fotos? Wer ist an den Überfällen auf die Lebensmitteltransporte beteiligt? Wer ist für die Schlägereien mit der HJ verantwortlich? Wer beschmiert unsere Hauswände mit zersetzenden Parolen? Wer verteilt Flugblätter? Wer stellt sie her? Wer ist euer Anführer? Das ist doch ganz übersichtlich. Sieben Fragen, sieben Antworten. Ein Name zu jedem Punkt. Mehrfachnennungen sind nicht nur möglich, sondern sogar erwünscht. Und vielleicht darfst du dann nach Hause.«
Ziegen stand auf, trat in den Flur und schloss die Tür.
Eine Weile saß Bastian still und rührte sich nicht. Dann begann er, in der Akte zu blättern. Sie hatten wirklich ganze Arbeit geleistet. Im gleichen Moment dämmerte ihm, dass der Dicke nichts gegen ihn in der Hand haben konnte. Der würde doch sonst ganz anders mit ihm umspringen.
Er knallte den Stift auf den Tisch. Der Faustschlag kam von hinten und erwischte Bastian hinter dem linken Ohr. Er kippte vom Stuhl. Grinsend stand Klapproth über
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