Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
du jetzt auch, aber dann musste ihn der Kollege bei einem Fluchtversuch erschießen. Tat uns wirklich leid.« Ziegen reichte ihm endlich Zündhölzer. »Wird hoffentlich bei dir nicht nötig sein. Der Papierkram hinterher ist zu ärgerlich.«
»Ja«, sagte Klapproth, »es sollte für solche Fälle ein Formblatt geben. Fix und fertig mit Stempel. Als ob wir unsere Zeit gestohlen hätten.«
Der Wagen rumpelte durch ein Schlagloch und setzte mit dem Bodenblech auf.
»Mensch, Klapproth, Sie bringen uns noch um!« Ziegen hielt sich am Handgriff über seinem Sitz fest. Der Hut war ihm schräg ins Gesicht gerutscht.
Klapproth bremste, stieß die Tür auf und schwang seine Stiefel auf die Straße. Er ging um den Wagen herum und warf einen prüfenden Blick auf Reifen und Stoßstange.
Ziegen rückte seinen Schlapphut zurecht. »Vor Klapproth nimm dich in Acht, mein Junge. Ich glaube, der hat keine Mutter. Der kommt direkt aus der Hölle. Seine ersten Worte waren: ›Jawoll, mein Führer‹. So einer ist das. Der kennt keine Verwandten.«
Klapproth ließ sich wieder in den Sitz fallen und zog die Tür zu.
»Ist noch mal gut gegangen. Nichts passiert.« Schweigend setzten sie die Fahrt fort. Bastian spürte Klapproths Blick im Spiegel. Sie bogen auf den Appellhofplatz ab und hielten vor dem EL-DE- Haus. Ein Mann vom SD riss die Tür auf.
»Heil Hitler«, brüllte er in den Wagen.
Ziegen verzog schmerzhaft das Gesicht. »Ich bin doch nicht schwerhörig, Sie Schreihals. Ist ja ein Mordsbetrieb heute Nacht. Passen Sie gut auf den Bengel hier auf. Nicht, dass der mir die Treppe herunterfällt. Bringen Sie ihn in die Anmeldung.«
»Jawoll«, brüllte der Wachmann. Ziegen resignierte.
Der SD-Mann zog Bastian aus dem Auto, hielt ihn fest am Oberarm und stieß ihn durch die Tür. »Zugang«, brüllte er.
Unter den Jungen und Mädchen, die zusammengekauert im Wachraum warteten, war auch Hotte. Sie vermieden jeden Blickkontakt, aber Bastian fühlte sich fast erleichtert – und mutiger.
»Name?«, fragte der einarmige Mann hinter dem Tresen leise und schob sich die Brille zurecht. Er musterte Bastian kalt. »Hast du irgendwas an den Ohren? Hörst du schwer?« Den leeren rechten Arm der Uniformjacke hatte er akkurat in die Jackentasche gestopft. Aus dem Nebenzimmer klapperte mechanisch eine Schreibmaschine. Auf der Treppe polterten Schritte. Im Keller schlugen Türen. Jemand schrie wie am Spieß. Die große Metalluhr über der Anmeldung vertickte die Zeit.
»Frei, Bastian.« Bastian räusperte sich.
»Lauter, verdammt noch mal. Bist du krank? Bisschen verschnupft? Ich verstehe dich nicht.«
»Frei, Bastian. Bastian Frei.« Seine Stimme überschlug sich.
»Wohnort?«
»Köln, Landmannstraße.« Bastian brüllte immer noch.
Der Mann steckte einen Bleistift hinter sein Ohr und blätterte in einem Register, in dem Hunderte von hellbraunen Briefumschlägen standen. Er ließ sich Zeit. Der SD-Mann wartete breitbeinig direkt hinter Bastian, so dicht, dass er dessen Schweiß riechen konnte und den Atem. Bier und Zwiebeln.
»Sieh an, sieh an. Einen Frei, Landmannstraße, haben wir hier bereits in den Akten. Schutzhaft. Dein Vater, nehme ich an? Apfel fällt nicht weit vom Birnbaum, oder wie war das?« Der SD-Mann lachte laut. »Aber dich gibt es hier noch nicht.« Er deutete auf das Nebenzimmer. »Bring ihn zum Erkennungsdienst.«
Bastian zuckte zusammen.
Der Einarmige leckte den Bleistift an, schnalzte mit der Zunge und machte einen Haken auf dem Papier. »Ist halb so wild und tut auch gar nicht weh. Frei. Wie kann man nur so heißen und dann hier landen? Herzlich willkommen bei uns.« Er nickte dem SD-Mann zu.
Im Nebenzimmer saß an einem schlichten Holzschreibtisch ein Beamter und spannte ein hellgrünes Formular in die Schreibmaschine. Für Bastian war kein Sitzplatz vorgesehen. Ohne ein überflüssiges Wort zu verlieren, fragte der Beamte Bastian nach dem Namen, Vornamen, Geburtstag und Geburtsort, Beruf, Familienstand, Staatsangehörigkeit und Wohnort. Und so schnell, wie er fragte, hackte er die Buchstaben in die Maschine. Dann packte er Bastians Daumen, drückte ihn auf ein Stempelkissen und danach auf ein dafür vorgesehenes Feld auf dem Formular.
»Jetzt noch ein Foto – wer weiß, ob du morgen noch so hübsch bist wie heute«, sagte der Beamte und wies Bastian an, sich auf einen Drehstuhl vor einen schwarzen Vorhang zu setzen.
»Einmal von vorn.« Das Blitzlicht blendete Bastian und er kniff unwillkürlich die
Weitere Kostenlose Bücher