Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
jetzt nördlich von ihnen. Gegen 6:00 Uhr morgens gab es Entwarnung. Um 10:00 Uhr wurden sie abgelöst. Zwischen Karlu Meisner und Hotte wankte Bastian nach Hause.
Auf der Dechenstraße kam ihnen Paul entgegen. Er war rußverschmiert, das Haar angesengt.
»Schwein gehabt«, sagte Paul. »Gut, euch zu sehen.« Sie gaben sich die Hand, wie Erwachsene es tun, die sich voneinander verabschieden, und so als wenn es nichts mehr zu sagen gäbe. Sie zogen weiter. Wie Schlafwandler. Wie Davongekommene.
Bastian atmete tief ein, als er in die Landmannstraße einbog. Er schloss die Augen. Als er sie öffnete, sah er, dass die Straße noch existierte. Er sah, dass der Dachstuhl ihres Hauses gebrannt hatte. Vor dem Haus stand Frau Frings, die mit ihrer Tochter in der kleinen Wohnung unter ihnen wohnte.
»Gerade noch mal gut gegangen«, sagte sie. »Eine Brandbombe und ein Blindgänger. Glück gehabt. Und dann war da dieser Junge. Den hatte ich schon mal bei euch gesehen. Er hat getan, was er konnte.« Jetzt wusste Bastian, warum er Paul eben getroffen hatte.
Er stürzte an der Frau vorbei ins Haus, rannte die Treppe hinauf, nahm immer zwei Stufen.
Seine Mutter, seine Oma und Elli waren da – unverletzt. Bastian fiel seiner Mutter in die Arme.
»Dass du da bist, mein Junge, dass du da bist.« Sie drückte ihn an sich und flüsterte: »Ich hatte schon mit dem Leben abgeschlossen. Wenn Paul nicht gewesen wäre ...«
Bastian schluckte. Er spürte Scham. Ihm wurde heiß und kalt. Sein misstrauisches Nachdenken über Paul war jetzt zu Ende. Paul hatte alle Fragen beantwortet.
WÄHRENDDESSEN
SAß BILLI
SEIT sechs Stunden mit ihrer Mutter und den Nachbarn im Keller fest. Niemand konnte sagen, was da draußen vor sich ging. Dieser Bombenangriff war anders gewesen als die vorhergegangenen. Doch die Kellerfenster waren zugemauert und so blieben nur das flackernde Kerzenlicht und die Angst in den Gesichtern.
Billis Nachbarin keuchte. Billi reichte ihr ein feuchtes Taschentuch. Sie presste es sofort an Mund und Nase. Das half manchmal gegen den beißenden Rauch. Billi lächelte ihr zu und drückte ihre Hand.
Dann endlich gab es Entwarnung. Wie durch ein Wunder stand das Haus in der Alpenerstraße noch, nur die Fensterscheiben waren durch die Druckwellen in tausend Scherben zersplittert.
Billi hastete die Treppe hinauf zur Wohnung.
»Wo willst du denn jetzt hin?«, hörte sie die angstvolle Stimme ihrer Mutter, die am Treppenabsatz stand und zu ihr hochblickte. »Du kannst doch jetzt nicht weggehen. Sieh dich doch mal um!«
Billi warf sich den weißen Schwesternkittel über und steckte die Haube mit Haarnadeln fest. Sie war Hilfskrankenschwester im St.-Franziskus-Hospital in der Schönsteinstraße und nach dem Bombenangriff der vergangenen Stunden ging es dort sicher drunter und drüber. Sie hoffte nur, dass das Krankenhaus noch stand.
Sie nahm ihre Mutter fest in den Arm und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann rannte sie durch den beißenden Qualm über Schutt und Trümmer. Berge von Steinen und geborstenen Balken türmten sich, wo am Abend zuvor noch Häuser gestanden hatten. Jetzt ragten sie wie spitze, abgebrochene Zähne in einen wüsten Wolkenhimmel. Fronten und Dächer waren abgerissen, man schaute bis in das Innere verkohlter Wohnungen. Aber das Krankenhaus war unversehrt.
»Gut, dass du da bist.« Schwester Maria kam ihr schon in der Eingangshalle entgegen. Der Kittel war blutverschmiert und ihre Augen waren müde. Trotzdem würde sie nicht eher gehen, bis alle, so gut es ging, versorgt waren. Jede Hilfe wurde gebraucht. Die Feldbetten standen dicht an dicht und der Geruch von Desinfektionsmittel, Blut und verbranntem Fleisch nahm Billi fast den Atem. Daran änderten auch die weit geöffneten Fenster nichts. Der Brandgeruch verdrängte die laue Sommerluft. Die Vorhänge bauschten sich.
»Kümmere du dich um die Verletzten dort hinten an der Wand. Nach denen hat noch niemand gesehen.« Und trotz ihrer Erschöpfung warf Maria ihr ein aufmunterndes Lächeln zu.
Billi machte sich gleich an die Arbeit. Wie gerne wäre sie Ärztin geworden, aber dieser nicht enden wollende Krieg hatte all ihre Träume kaputt gemacht. Ein Grund mehr, die Nazis zu hassen.
Mit ruhigen, gekonnten Griffen säuberte sie Wunden, legte Verbände an und half, so gut sie konnte. Sie trat an das nächste Bett. Das Gesicht des jungen Mannes lag im Schatten, seine Augen waren geschlossen. Beide Hände hatte er auf dem Bauch gefaltet. Sie
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