Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
gelesen.«
Hotte stellte eine verbeulte Ledertasche auf den Tisch. In ihrem Inneren rumpelte es. Er ließ seinen Blick durch die Hütte wandern.
»Hast ja schon aufgeräumt. Der Gaul ist ja ’ne Granate. Fehlt nur noch, dass du ihm Zöpfchen machst.«
Paul bemerkte, dass Hotte glänzende Laune hatte.
»Dann wollen wir mal«, sagte der und griff nach der Tasche. »Tante Rose hat dir bestimmt ihre Predigt gehalten und klargestellt, wer hier das Sagen hat. So ist sie nun mal.«
Paul hob die Schultern. Hotte verzog sich mit der Tasche in den dunklen hinteren Teil des Schuppens. Er begann, Heuballen an die Seite zu räumen.
»He, was ist? Du könntest ruhig mit anpacken! Ich zeige dir jetzt mal, was man mit einem Hammer so alles anstellen kann. Vorausgesetzt, man hat einen Plan und noch etwas anderes im Kopf, als mit meiner Schwester herumzumachen.«
Die Rückwand lag inzwischen frei und Hotte zählte mit den Fingern die senkrecht aufgenagelten Bretter ab. Aus vier Brettern zog er die Nägel und öffnete so einen Spalt in der Wand.
Das Erste, was sofort hereingereicht wurde, war eine Gitarre. Dann krochen Bastian, Fatz und Ralle grinsend in Pauls Hütte.
Paul strahlte: »Ich fass es nicht.«
»Na, siehst du, Paul. Wo ein Wille ist, ist auch ein Hintereingang. Freddie kommt sofort. Er geht vorne herum und sagt der Tante Guten Tag.«
MIT
EINEM
FLAUEN Gefühl im Magen, mürrisch und unausgeschlafen befühlte Paul die Papiere in der Innentasche seiner Jacke. Viel war es nicht. Ein brauner Briefumschlag, darin zwei Blätter vom Krankenhaus. Das Entlassungsschreiben und ein Attest. Billi hatte ganze Arbeit geleistet.
Er sei drei Tage verschüttet gewesen, hieß es darin. Peter König leide an starkem Erinnerungsverlust infolge einer schweren Gehirnerschütterung. Sein Hörvermögen sei herabgesetzt, seine Lunge geschädigt. Man könne im Krankenhaus nichts mehr für ihn tun und wünsche ihm alles Gute. Obermedizinalrat Dr. Soundso hatte unleserlich unterschrieben neben einem echten Krankenhausstempel. Das war viel wert in solchen Zeiten.
Dann waren da noch der Ausweis aus Ottos Druckerei und sein Arbeitsvertrag mit der Gärtnerei. Tante Rose hatte es sich nicht nehmen lassen, ihm einige Zeilen mitzugeben.
»Auf den Ämtern, das sind auch nur Menschen«, hatte sie zu Paul gesagt. »Und man kennt sich.« Paul genierte sich. Sie hatte tatsächlich geschrieben, dass er ein guter Junge sei, der bei etwas Pflege und Obhut bald wieder ein wichtiges Mitglied der Volksgemeinschaft sein würde. Außerdem liefere die Gärtnerei ihren Beitrag in schwierigen Zeiten, das habe die letzte Kartoffelernte gezeigt. Wovon man sich gerne bei einem persönlichen Besuch überzeugen könne. Franzi musste Paul den Wink mit dem Zaunpfahl nicht lange erklären. Ihm gefiel der mütterliche Ton nicht. Pflege und Obhut, das hatte ihm gerade noch gefehlt.
»Hör auf zu maulen, Paul. Hut ab vor Tante Rose«, hatte Bastian gesagt. »Die Frau weiß, wie man es macht.«
Damit war der Fall für Paul erledigt. Wenn er den Stempel der Meldebehörde bekäme, wäre alles andere ein Kinderspiel. Bastian hatte es ihm versichert. Danach bekäme er Lebensmittelmarken. Hotte hatte ihm geraten, nur das Allernotwendigste zu sagen.
Aber in der Nacht schossen ihm dann doch hundert mögliche Fragen durch den Kopf. Fragen, wie sie nur Leute auf den Ämtern stellen können. Nach dem Woher und dem Wohin, dem Weshalb, Wieso und Warum. Und nach ebenso vielen Antworten hatte er gesucht. Ganz sicher würden sie nach seinen Eltern fragen. Er war schließlich erst knapp siebzehn. Was, wenn sie zum Telefonhörer griffen und in Oberhausen anriefen? Wenn seine gefälschten Papiere doch nicht so gut wären, wie es ihm als Laie erschien?
Er schlief nur ein, um bald darauf schweißgebadet aufzuwachen. Im Traum sah er sich vor einem riesigen Schreibtisch. Ein unfreundlicher, übel gelaunter Beamter suchte mit der Lupe nach Fehlern in seinem Ausweis. Eine grelle Lampe leuchtete ihm ins Gesicht.
Er quälte sich aus dem Bett, rasierte sich nicht, scheitelte aber sorgfältig sein Haar. Im Spiegel sah er sich an: ein graues, übernächtigtes und angespanntes Gesicht, die Augenlider leicht gerötet und zittrig.
»Perfekt«, sagte Franzi bewundernd. »Du siehst aus, als wärest du gerade aus dem Schutt gekrochen.«
Paul umarmte sie, hielt sie ganz fest.
»Kopf hoch. Es wird alles gut werden«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Ich werde in Gedanken bei dir sein und auf dich
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