Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
mir. Eine wirklich nette Frau. Sie ist mir mit dem Kranz für meine Mutter sehr entgegengekommen. Ein wahres Prachtstück war das. Man stirbt schließlich nur einmal. Nun schicken Sie den Nächsten rein. Heil Hitler!«
Paul machte sich auf den Weg zum Ernährungsamt. Der Stempel der Meldebehörde tat, wie vermutet, seine Wirkung.
»Sie sind aus Oberhausen?« Die zuständige Dame sah ihn freundlich an. Und als Paul mit der Antwort zögerte, fuhr sie fort: »Sie sind ausgebombt? Was ist mit Ihren Eltern?«
Paul machte ein bekümmertes Gesicht, faltete die Hände und legte sie vor sich auf den Schreibtisch. »Ich habe keine Ahnung. Das Meldeamt will sich darum kümmern.«
»Das wird schon wieder«, sagte sie. »Wir haben alle unser Päckchen zu tragen.«
Paul seufzte.
»Sie bekommen einen Bombenpass und einen Kleinschadenausweis. « Ein Stempel knallte auf ein Formular. Peter König galt jetzt als »schwer fliegergeschädigt«.
»Sie bekommen Bezugsscheine. Um das Arbeitsbuch kümmere ich mich. In Oberhausen liegt ja bestimmt Ihre Arbeitsbuchkartei. Das kann aber dauern.«
Sie schob ihm eine Reichskleiderkarte über den Tisch.
»Wenn Sie nach Oberhausen fahren, um die Eltern zu suchen, haben Sie einen Anspruch auf Reiselebensmittelmarken. Die werden nur im Amt Bickendorf ausgegeben. Ich stelle Ihnen einen Berechtigungsschein aus.«
Dann erhielt er seinen Bogen mit Lebensmittelmarken für den Monat. Er hatte Anspruch auf 6,4 Kilogramm Brot, 1200 Gramm Fleisch und 1053 Gramm Fett. Dabei waren außerdem Lebensmittelmarken für Marmelade, Zucker und Eier und Reichsfettmarken für Jugendliche, mit dem Hinweis, dass auf die Käseabschnitte Quark in der doppelten Menge bezogen werden könne. Ein Falls verfügbar war extra fett aufgedruckt. Außerdem standen ihm 250 Gramm Kaffee-Ersatz zu und er durfte drei Zentner Kartoffeln einkellern.
Er bekam alles anstandslos – und würde die Sachen Frau Rose überlassen. Das war ein Teil ihrer Vereinbarung. In der Gärtnerei verdiente er knapp 180 Mark im Monat. Für seine Unterkunft und die Verpflegung knöpfte sie ihm 130 Mark ab. Für Hennes musste er selbst sorgen.
Pferd und Wagen waren für ein hübsches Sümmchen in sein Eigentum übergegangen. Paul vermietete sein Fuhrwerk an die Gärtnerei. Das könnte ihm immerhin 80 Mark im Monat bringen. Aber nur, wenn es etwas zu tun gab für Hennes.
Ein Kilo Brot kostete 60 Pfennig und die Sechserpackung Zigaretten der Marke Overstolz 1,50 Mark. Ein Pfund Bohnenkaffee kostete auf dem Schwarzmarkt 50 Mark. Paul hatte immer noch reichlich Geld in seinem Depot zwischen den Strohballen. Er würde zurechtkommen und alles andere würde sich finden.
Auf dem Arbeitsamt machte er von Billis Schreiben Gebrauch. Er legte seinen Arbeitsvertrag dazu. Als Pferdebesitzer trat er nicht auf. Möglicherweise würden sie ihn sonst zwingen, ein Gewerbe anzumelden. Und dann brauchte er einen Ariernachweis.
»Da wird Ihnen die Arbeit in der Gärtnerei sicher guttun«, sagte die Sachbearbeiterin im Arbeitsamt Köln-Müngersdorf mit betont lauter Stimme.
»Wie bitte?«, fragte Paul mit einem leichten, keuchenden Husten zurück. Sie wiederholte es und knallte dabei einen weiteren Stempel in seine Papiere.
Seinen Rückweg nahm Paul über die Gartenkolonie. In seinem Rucksack klimperten einige Bierflaschen.
Opa Tesch sagte genießerisch: »Ahhh«, und verschloss den Bügel der Bierflasche. Er saß auf dem Hackklotz und stützte die Arme auf die Knie. »So sind sie«, murmelte er und deutete auf den qualmenden Bretterhaufen, der noch vor zwei Tagen Pauls Unterschlupf gewesen war. Paul erschrak.
»Wer macht denn so was?«, fragte er fassungslos. »Und warum?«
»Da musst du Karlu fragen«, sagte Opa Tesch und knipste mit dem Daumen den Bügel der Bierflasche auf. »Kam mit einer HJ -Streife mitten in der Nacht. Waren wohl sicher, dass sie dich da drinnen erwischen. Diese Saubande. Gut, dass du weg warst.«
»Ja«, sagte Paul. »Wohne jetzt hinten in der Gärtnerei. Und ich habe ein Pferd.«
»So, ein Pferd«, meinte Tesch und nahm einen großen Schluck. »Und was ist mit deinem Mädchen? Ein Junge in deinem Alter braucht ein Mädchen.«
Paul vergaß, Warum? zu fragen.
»Franzi ist ein nettes Mädchen. Sie ist richtig. Verbock es nicht.« Opa Tesch paffte, blies bei diesen Worten kleine Wolken in die klare Luft, schwieg und starrte zu dem qualmenden Bretterhaufen hinüber.
Paul betrachtete ihn von der Seite und meinte: »Hier draußen wird es
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