Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
und musste lächeln. Paul war bei dem ersten Angriff, den er im Bunker erlebt hatte, beinahe durchgedreht. Zwischen zwei Einschlägen war er plötzlich aufgesprungen, hatte sich aber sofort wieder gesetzt, als Bastian ihm zuzwinkerte und zu Elli hinüberzeigte.
Die hatte sich tief in den Mantel ihrer Mutter verkrochen und so getan, als schliefe sie. So war das. Die Kinder gewöhnten sich. Sie wuchsen im Krieg auf und der Bunker wurde ihr zweites Zuhause. Manchmal auch ihr letztes. Denn darum ging es ja. Die Häuser mit ihren Wohnungen in die Luft zu jagen.
Beim ersten Einschlag hatte sie sich damals ganz klein gemacht und Wutz unter ihren Körper geschoben. Heute saß sie aufrecht und zuckte nur ab und zu, blinzelte kaum mehr mit den Augen.
Paul lächelte verstört und kratzte sich. »Es ist nicht das Krachen, es ist die Enge, die mich fertigmacht«, sagte er. Bastian zwinkerte ihm nachsichtig zu. Irgendwann würde Paul sich schon gewöhnen. Sie hockten hier wie bestellt und nicht abgeholt. Heute passierte nichts. Es gab Entwarnung und sie schoben sich nach draußen in die Nachtluft.
»Dieser Bunkermief«, hörte Bastian Paul sagen, »ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen.« Dann spuckte er in hohem Bogen gegen die Betonwand.
»Sieh mal an. Wer kommt denn da?« Bastian stieß Paul an.
Aus dem Dunkeln schlenderte Ralle heran. Er trug eine weite Jacke und vergrub die Hände in den Taschen. Er hatte sie längst gesehen. Seit der kleinen Auseinandersetzung neulich im Pferdestall hatte sich Ralle eine Weile nicht mehr blicken lassen. Bastian stritt nicht gerne mit ihm. Was sie zusammenhielt, war schwer zu sagen. Sie spielten zusammen Gitarre und Ralle hatte mehr Lieder drauf als er. Er spielte auch besser, ließ es ihn aber nie spüren. Bei Bastian hatte das alles mit Technik und Lautstärke zu tun. Griffe kloppen und auswendig lernen. Doch wenn Ralle spielte, ging allen das Herz auf. Anders konnte er es nicht beschreiben.
Ralle streckte ihm die Hand hin.
»So förmlich?« Bastian war erstaunt. Normalerweise gab es ein großes Hallo, Schulterklopfen und dumme Sprüche.
Ralle räusperte sich verlegen. Er sah müde aus. »Ich komm von Otto. Ihr wisst Bescheid?«
»Moment mal, Ralle. Du und Otto?«
»Warum nicht? Der weiß, wo es langgeht.«
Ralle schob seine Jacke zur Seite. Aus dem Hosenbund lugte der matte, geriffelte Griff einer Pistole.
Bastian pfiff durch die Zähne. »Mensch, Ralle. Ich dachte, du gehörst zu uns.«
»Wie? Und mit Knarre geht das nicht mehr?«
»Da hat Bastian so seine eigenen Ansichten«, mischte Paul sich ein.
»Was soll das denn jetzt, Paul? Natürlich habe ich meine eigenen Ansichten. Du solltest nur deine Knarre nicht in meine Familie mitnehmen. Mir gefällt das eben nicht. «
Paul schüttelte den Kopf, als hätte er Mitleid mit ihm.
Ralle stieß Paul mit dem Ellenbogen an. »Wie? Du auch?«
»Ja, glaubst du denn, du bist der einzige Vollidiot?« Bastian merkte, dass er sauer wurde. Er hasste Gespräche wie dieses. Genauso gut könnte er sich mit dem Takubunker unterhalten. »Aber es stimmt. Es geht mich nichts an«, murrte er.
»Sei doch nicht gleich eingeschnappt. Aber mit den Nazis kuscheln hilft auch nicht.«
»Mir ist das einfach zu blöde. Wer kuschelt hier eigentlich mit wem?« Bastian drehte sich abrupt weg. Er zögerte. Dann machte er kehrt und sagte: »Otto führt seinen Krieg gegen die Nazis. Und er hat gute Gründe. Jeden einzelnen kann ich unterschreiben. Aber wenn dir dein Leben lieb ist, Ralle, halte dich zurück. Dein Leben wird sonst eher zu Ende sein, als dir lieb ist.«
Ralle schob Bastian von sich weg. Aber dann lächelte er: »Schon komisch, dass ausgerechnet du das sagst. Für Pauls Papiere konntet ihr Ottos Dienste doch gut gebrauchen. Und jetzt seid ihr dran.«
Bastian stutzte, schwieg und sah, wie Ralles Blick wachsam suchend durch die Gegend glitt.
»Gut, gut«, machte Ralle weiter. »Lasst uns jetzt zum geschäftlichen Teil kommen. Noch einmal von vorne. Ich bin nicht zufällig hier. Eigentlich wollte euch Adi kontaktieren. Der hat aber keine Zeit, sitzt in Brauweiler.«
»Adi im Knast?«, fragte Bastian. Dann war höchste Alarmstufe angesagt.
»Ja, dumme Sache. Aber dieser fette Bulle, du kennst ihn, zieht im Moment alle Register. Also jetzt zur Sache: Am Samstag sind zwei von euch zum Mittagessen mit Otto im Kolpinghaus. Er wird euch Flugblätter übergeben. Geht kein Risiko ein. Wenn euch etwas komisch vorkommt, verschwindet. Wenn Otto
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