Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
schief.
»Gut siehst du aus«, sagte Paul.
»Und du riechst immer noch nach Pferd. Wie geht es dem alten Klepper? Hast du ihm Zöpfchen gemacht?«
»Er mag es. Jedem Jeck sin Pappnas.« Paul hielt ihm den Beutel mit den Lebensmitteln unter die Nase. »Ich bring das schnell nach oben.« Paul stockte. »Dein Vater ... Ich meine, ich ... Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Du weißt, wie das ist, Paul. Was kann man da sagen? Lächele sie an, das macht ihr Mut.«
Bastian drückte dabei die Haustür auf und tastete nach dem Lichtschalter. »Alles im Eimer. Sogar diese blöde Funzel. Beeil dich«, sagte er. »Ich will dir was zeigen.«
Sie betraten den Westfriedhof durch einen Seiteneingang und schoben ihre Räder durch die Gräberreihen. Auf einigen der frischen Gräber war die Erde eingesunken.
»Sie begraben sie nicht tief genug«, sagte Paul, »und die Pappsärge halten nicht. Sie weichen auf und geben sofort nach.«
Bastian führte ihn in einen entlegenen Winkel des Friedhofs. Ein Feld. Ohne Kreuze. Ohne Grabsteine. Sie standen auf einer Erhebung unter Birken, und Bastian sagte: »Das ist das Gestapofeld. Hier lassen sie ihre Leichen verschwinden. Die Nazis machen kein großes Geheimnis daraus.«
Schnee fiel. Das Feld war glatt und weiß.
»Eigentlich kein schlechter Platz. Hier könnte Zack irgendwo liegen«, sagte Bastian. »Aber seine Mutter musste ihn ja unbedingt auf Melaten begraben. Und dafür hat sie Billi verraten. Oder hast du Neuigkeiten?«
»Du hast also davon gehört?«, begann Paul. »Hotte hat ja nur erfahren, dass die Gestapo sie im Krankenhaus verhaftet hat. Du solltest Zacks Mutter da nicht mit reinziehen. Die kann nichts dafür.«
»Ich hatte einfach eine Stinkwut. Glaubst du, Billi ist im EL-DE- Haus?«
»Ich weiß es nicht. Freddie und Ralle haben sich übrigens Föls vorgeknöpft.«
»Sie hätten ihn abknallen sollen«, sagte Bastian.
Paul sah ihn überrascht an. »Denkst du jetzt so darüber? Aber ich kann dich verstehen: Zack ist tot, dein Vater ist tot. Billi ist verhaftet. Und du siehst auch nicht gerade aus, als kämst du aus der Sommerfrische.«
»Ich habe mich oft gefragt, warum ich hierherkomme und von diesem Hügel auf das Gräberfeld gucke. Ich mache das, um etwas gegen meine Angst zu tun«, sagte Bastian. »Ich habe da diesen Traum. Ich schwimme in einem Fluss, und da ist ein Strudel, der mich hinunterzieht. Und ich strampele, um hochzukommen. Es gelingt mir nicht. Ich werde nach unten gezogen. Dann werde ich wach.«
»Also nicht ertrunken?«
Bastian schüttelte den Kopf. »Nein. Irgendwann habe ich herausgefunden, was ich tun muss. Ich wehre mich nicht mehr. Ich lasse mich von dem Strudel nach unten ziehen. Dicht über dem Grund ist er am stärksten, aber dort ist er so schmal, dass ich mich aus ihm befreien und wegtauchen kann.«
»Und der Strudel, das ist deine Angst? Und du kannst sie besiegen? Oder was meinst du?«
»Keine Ahnung.« Bastian warf einen Stein. »Außerdem sitzt meine Angst hier.« Er deutete mit dem Finger ungefähr dahin, wo sein Herz war.
»Vielleicht ist der Strudel ja diese Nazischeiße.«
»Ja. Ich hab das Gefühl, da ist immer einer, der mich beobachtet. Nicht nur in der Arbeit. Ich bin jetzt im Osteinsatz. Mit Jupp Jablonski. Ich habe dir von ihm erzählt. Das ist der, mit dem ich mal an den Maultieren herumgeschraubt habe. Jeden Tag beladen wir jetzt Güterzüge für die Front. Ersatzteile und so. Riesige Mengen. Und Jupp schmeißt jeden Tag eine Kiste in den Rhein. Einfach so. Schwupps. Er sagt, er kann nicht anders. Er muss was tun. Man sollte da nicht drüber nachdenken. Jeden Tag setzt der sein Leben aufs Spiel. Ist das bescheuert, oder was?«
»Er tut immerhin was, dieser Jupp Jablonski. Was hast du vor?«
Bastian wollte nicht direkt auf diese Frage antworten.
»Mutter hat erzählt, dass du ihr hilfst, hier rauszukommen, dass du ihr das Geld für die Fahrkarten geben willst. Und du kümmerst dich um die Möbel. Mir ist da echt ein Stein vom Herzen gefallen. Die müssen hier weg. So schnell und so weit weg wie möglich.«
»Verdammt noch mal, ja. Aber eigentlich hab ich dich gefragt, was du jetzt tun willst.«
»Hierbleiben, Paul. Irgendetwas tun. Jupp Jablonski helfen zum Beispiel. Kisten im Rhein versenken, Flugblätter verteilen, mich nicht erwischen lassen. Weitermachen. Wie du, wie Franzi, wie Ralle, Fatz und all die anderen, die sich entschlossen haben, nicht mitzumachen, und die darauf hoffen, dass etwas
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