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Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Titel: Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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wie aufgeraucht, und ob er heute in Ehrenfeld Zigaretten auftreiben konnte, stand in den Sternen. Gestern hatte er die halbe Nacht vor dem Radio verbracht, den Nachrichten der BBC gelauscht und sich Parolen für die Handzettel ausgedacht.
    Gewöhnlich waren die Sonntage ruhig in der Gärtnerei und bei dem Sauwetter würde niemand herumschleichen. Er machte es sich gemütlich. Dass eigentlich nichts geschah, gefiel ihm. Nur Franzi fehlte ihm. Aber an Sonntagen sahen sie sich nur selten. Da hatte auch Frau Rose nichts zu tun. Paul schmierte sich ein Marmeladenbrot und wartete, dass sich die Milchsuppe erwärmte. Das Kaffeewasser kochte noch nicht. Draußen war nichts zu hören und nur das Radio dudelte leise vor sich hin. Glenn Miller, In the Mood.
    Paul dachte sogleich an Billi, wie sie zu Glenn Millers Musik getanzt hatte, hier in seiner Kammer. Er rückte die Adler auf der Tischplatte zurecht. Am Mittag wollte er mit dem Fahrrad in die Stadt fahren, um Zigaretten zu besorgen. In den Ehrenfelder Kneipen wurde mit losen Zigaretten gehandelt. Eine Eckstein No. 5 für 4 Pfennige, wenn er Glück hatte. In der Venloer Straße könnte er auch seine Handzettel loswerden. Er blickte hinaus in den Regen, der immer mehr in Schnee überging. Der Wind hatte nachgelassen und es wurde heller. Alles in allem begann der Tag vielversprechend.
    Paul drehte das Radio lauter und legte Papier in die Schreibmaschine. Einen Moment starrte er auf die Walze und auf das weiße Blatt Papier. In Gedanken war er bei Franzi. Vielleicht sollte er ihr lieber einen Brief schreiben. Vielleicht einen Liebesbrief. Aber für Liebesbriefe war er nicht so geeignet. Wie wäre ein Brief über das Aufstehen und das Anrühren von Milchsuppe? Er stand nämlich gerne auf. Das kam für ihn gleich nach »mit Franzi im Bett liegen«. Franzi würde so was lesen. Und er auch. Sie hingen nämlich an diesem Leben. Es war ihnen jede Mühe wert, und es waren die Kleinigkeiten, die es krönten.
    Aber jetzt sollten erst mal die Nazis ihre tägliche Lieferung bekommen.
    Friede auf Erden. Trümmer und Schrott. Nun danket Gott.
    Er wollte es auch mit einem nachdenklichen Reim versuchen:
    Drum tragen wir unser Leiden weiter mit Geduld, an der ganzen Scheiße sind wir selber schuld. Ein Volk, ein Reich, ein Trümmerhaufen.
    Vielleicht war das eine Spur zu lang. Ein richtiger Sonntagsspruch eben. Mit Herz und Hand – für Führer, Volk und Vaterland. Aber das Hirn bleibt zu Hause.
    Er steigerte sich. Paul faltete zwanzig kleine Zettel und legte sie auf die Tischplatte.
    Er nahm eine Stofftasche vom Haken und packte Lebensmittel hinein. Die Eier wickelte er in Zeitungspapier. Paul wollte in der Landmannstraße vorbeifahren. Er war mit Bastian verabredet. Später wollte er bei Opa Tesch vorbeisehen. Auf seinem Weg würde er die Flugblätter unters Volk bringen.
    Der Regen war in dicke Schneeflocken übergegangen, aber es gluckerte noch Wasser durch die Regenrinne und tropfte in die Tonne. Der Himmel hing grau und schwer.
    Das Flämmchen des Kochers zischte. Paul nahm den Topf mit der Milchsuppe von der Flamme und rührte mit einem Holzlöffel darin herum. Er hob den Löffel und sah zu, wie die klebrige graue Pampe am Löffel herunterrutschte und in den Topf zurückfiel. Lecker sah das nicht aus. Und doch war es genau dieser eine Löffel Haferschleim, der den Unterschied machte. Eva, eine der ukrainischen Fremdarbeiterinnen, hatte ihn von ihrem Brot aus dem Lager probieren lassen. Es schmeckte nach Sägespänen und roch nach verbranntem Laub. Paul löffelte die Milchsuppe, aß das Marmeladenbrot und trank den Kaffee. Das Flämmchen des Kochers zischte.
    Als er den Stall hinter sich schloss und die Fahrradreifen aufpumpte, lag schon überall Schnee. Er machte die Straße glatt. Paul würde aufpassen müssen.
    Es war nicht viel Verkehr. Die Elektrische bimmelte und fuhr zum Takuplatz. Paul stieg vom Rad und schob es über die Straßenbahnschienen. In der Landmannstraße drangen aus einem Hinterhof wuchtige Hammerschläge. Vor dem Haus stand Bastian über ein Fahrrad gebeugt und fummelte die abgesprungene Kette auf den Drehkranz.
    Paul lehnte sein Rad an die Wand. »Na. Ob du das mit deinen ungeschickten Wurstfingern auf die Reihe kriegst?«
    »Auf dich Klugscheißer habe ich gerade gewartet.«
    »Na, das hoffe ich doch.«
    Sie gaben sich die Hand und grinsten.
    Bastian sah müde aus. Das Jungengesicht war verschwunden. Blass und schmal sah er ihn an und lächelte etwas

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