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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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Tür der Hütte, und die Frau kommt heraus. Es ist Sofía.
    »Sehen Sie?«, flüstert der Professor. »Nur eine der Touristinnen, die glauben, das Personal sei im Preis inbegriffen.«
    Sofía ist bereits Richtung Restaurant verschwunden, da kommt ihr Gespiele heraus. Es ist der Schwede oder Däne oder Finne, der am Pool als Bademeister arbeitet. Heute Nachmittag hätte ich ihn beinahe von meiner Liste möglicher Bodyguards gestrichen, weil er einen nicht besonders intelligenten Eindruck auf mich gemacht und wie ein Kalb geglotzt hat. Wenn nötig, kann ich allerdings auch den Harmlosen spielen. Und gerade dann bin ich am gefährlichsten.
    Camilleri respektiert mein Schweigen; wortlos kehren wir zur Party zurück. Es ist, als hätte dieser simple Quickie unsere vorherige geistreiche Unterhaltung widerlegt.
    Wahrscheinlich funktioniert so die Welt: Manche stellen sich unentwegt Fragen. Die anderen vögeln einfach. Keine Ahnung, was besser ist.
    Ich für meinen Teil versuche jedenfalls schon mein ganzes Leben, mir keine Fragen zu stellen. Seit Tony sein Auge verlor und ich den Ehrgeiz, Piratenkapitän zu werden. Und was den Sex angeht, so ist es wie mit dem Preisschießen in meiner Jugend oder mit meinem Job als Auftragskiller: Ich bin darin sehr geübt, sodass bisher niemand etwas zu bemängeln hatte.
    Außer vielleicht Leticia: Du wärst der denkbar beste Liebhaber, wenn du beim Vögeln auch mal was falsch machen würdest: wenn deine Zärtlichkeiten vor lauter überbordender Leidenschaft auch mal unbeholfen sein würden, deine Bewegungen weniger von deinem Perfektionsdrang als von deinem Begehren gelenkt, und dein Stöhnen ein lustvolles Seufzen und nicht nur der Treibstoff für deine Sexmaschine wäre . Es war ein ganzer Vortrag, den sie mir hielt, bevor sie mich verließ, und von den vielen Dingen, die sie mir vorwarf, von allen Argumenten, warum sie Schluss machte, trafen mich diese Sätze am meisten.
    Und auf einmal habe ich Angst vor dem Ende dieses Abends.
    Auf einmal wünsche ich mir, dass Yolanda nicht auf die Party kommt.
    Aber sie ist da, und ihr Lächeln vertreibt die dunklen Wolken, der Himmel ihrer Augen ist strahlend blau, und ihr freudiges Lächeln ist echt.
    Ich stelle sie Camilleri vor, und alle drei plaudern wir eine Weile äußerst angeregt, bis der Professor auf einmal aufsteht und sich verabschiedet. Er ist nicht einmal mehr zu einem letzten Gläschen zu überreden.
    »Ich muss dringend ins Bett, und ihr müsst ja noch euer Gemälde malen.«
    Yolanda versteht seine kryptische Bemerkung natürlich nicht, weiß aber wohl instinktiv, dass seine Worte nett gemeint sind, weshalb sie ihm zum Abschied ein fröhliches Lächeln schenkt.
    »Ich würde sie irgendwo zwischen Klimt und Modigliani ansiedeln«, flüstert mir der Professor noch verschwörerisch ins Ohr, bevor er geht, »sie ist engelhaft zart und gleichzeitig sinnlich, sanft und doch farbenfroh. Sie haben einen exzellenten Kunstverstand, mein lieber Freund.«
     

10
     
    Camilleri war bestimmt ein ausgezeichneter Hochschuldozent. Und er schreibt sicher auch intelligente Krimis. Auf jeden Fall ist an ihm aber auch ein phänomenaler Kunstkritiker verloren gegangen. Das beweist seine Beschreibung von Yolanda. Selbst wenn ich noch einige stilistische Nuancen hinzufügen würde: Sie hat außerdem noch etwas von der Sinnlichkeit eines Gauguin und dem Ewigweiblichen eines Botticelli, und hin und wieder umweht sie ein Hauch von Einsamkeit, wie dies nur Edward Hopper auf die Leinwand zu bannen vermochte.
    Von Kunst verstehe ich mehr, als es auf den ersten Blick scheint. So wie von vielen anderen Dingen auch. Unsere Ausbildung ist nämlich äußerst vielseitig, denn in unserem Job ist es nicht immer damit getan, stundenlang irgendwo auf der Lauer zu liegen und dann im richtigen Moment abzudrücken. Oft werden wir zu irgendeinem Kurs geschickt, und dann vergehen Monate über Monate, bis man den Auftrag bekommt, bei dem man das erworbene Wissen gebrauchen kann.
    »Wir sind wie Laienschauspieler, die im stillen Kämmerlein monatelang ein Stück einstudieren, ohne zu wissen, ob sie damit jemals an einem Theater vorsprechen dürfen«, pflegte die frühere Nummer Drei zu sagen.
    Er selbst war außergewöhnlich gebildet und konnte stundenlang über Architektur und kulinarische Genüsse philosophieren. Das tat er jedoch nur mit mir oder wenn dieses Wissen zu seiner Rolle bei einem Auftrag passte. Dann hatte man wie durch Zauberei keinen Schluckspecht und

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