Wir toeten nicht jeden
der Raum zu einem großen Halbrund, von dem aus ein schmaler Gang zu einer weiteren Höhle führt. Als ich in die Haupthöhle zurückkomme, sitzt Camilleri auf einem großen Stein und blickt andächtig aufs Meer hinaus. Die Aussicht ist wirklich beeindruckend: Wasser und Himmel gehen in leuchtenden Blautönen nahtlos ineinander über. Schweigend setze ich mich neben ihn: Es ist sein Moment, und ich will ihn nicht kaputtmachen.
»Hier habe ich meinen besten Krimi geschrieben«, höre ich ihn nach einer Weile sagen. »Nicht den ersten, wohlgemerkt, sondern meinen besten. Ich mache schon fast zehn Jahre Urlaub auf diesem Campingplatz. Die Höhle hier habe ich jedoch erst vor fünf Jahren entdeckt. Durch reinen Zufall. Ich war damals so baff, dass ich bis in die Nacht hier saß, weil ich mich an diesem Ausblick gar nicht sattsehen konnte. Am nächsten Tag zog ich mit meinem Laptop, dem Schlafsack und Proviant in die Höhle. Auf dem Zeltplatz ließ ich mich natürlich alle zwei, drei Tage blicken; wenn ein alter Mann einfach so verschwindet, denken die Leute nämlich immer dasselbe und beginnen einen zu suchen. In zwei Wochen schrieb ich meinen Roman zu Ende, und von da an war mir klar, dass ich nur in dieser Höhle hier wirklich schreiben kann. Sie ist zu meinem Refugium geworden. Hier kann ich mich nach Sizilien träumen, nach Afrika oder Patagonien, wohin auch immer.«
Der Professor lächelt, als er mein besorgtes Gesicht sieht. Er scheint meine Gedanken zu erraten.
»Nein, keine Sorge, ich verbringe keine Wochen und Monate mehr hier, das macht meine Gesundheit nicht mehr mit. Wenn’s beim Schreiben hakt, brauche ich inzwischen nur noch eine Weile herkommen, und wenn ich danach in meinen Wohnwagen zurückkehre, habe ich eine klare Vorstellung, wie’s weitergeht. Sollte ich mich jedoch jemals vor der Welt verstecken wollen, dann hier. Soweit ich weiß, kennt sie außer mir kein Mensch. Schon oft haben Grüppchen von Nudisten die untere Felsenplatte erforscht, während ich hier saß und nachdachte, aber bisher sind sie noch nie hier hochgekommen.« Er verstummt einen Moment und sagt dann feierlich: »Jetzt sind wir zwei, die von diesem Refugium wissen.«
Ich kann nicht normal sprechen. Ich habe einen Kloß im Hals.
»Warum haben Sie mir Ihr Geheimnis anvertraut?«
»Weil Sie noch Zeit zum Lesen haben, Juan. Lassen Sie sich die von niemandem nehmen.«
Während wir schweigend wieder hinunterklettern, denke ich, dass er recht hat: Ich erlebe gerade einen einzigartigen Moment im Leben, und den darf mir niemand nehmen. Überhaupt niemand.
Ich bin noch immer ganz verzaubert, als wir eine halbe Stunde später zu den Wohnwagen und Zelten zurückkehren. Ich habe den Professor nicht gefragt, aber ich weiß, dass es ihm nichts ausmachen wird, wenn ich Yolanda mit in unsere Höhle nehme. Sie ist mein Moment, und ich kann es gar nicht erwarten, ihn wieder mit ihr zu lesen, sobald es dunkel wird.
»Man merkt, dass die Hochsaison begonnen hat«, bemerkt Camilleri auf einmal schmunzelnd. »Das Schlimmste ist, dass die meisten Neulinge sind und nicht wissen, was sie mit ihren Händen machen sollen.«
Ich will gerade murmeln, dass ich bis gestern auch noch ein absolutes Greenhorn war, als der Professor auf einen protzigen Wohnwagen deutet, aus dem laute Musik dröhnt.
»Es ist nicht zu fassen: Kann man wirklich so vulgär sein, Juan?«
In diesem Augenblick taucht ein nackter Hüne in der Tür auf, der am ganzen Körper so behaart ist, dass er aussieht, als trage er ein Bärenkostüm. Eine Halbliterdose Bier in der Hand grüßt er uns mit einem Grinsen, das nichts Gutes verheißt.
Das steht fest.
Bei den Waschräumen verabschiede ich mich eilig vom Professor, versuche auf dem Weg zu unseren Zelten aber nicht zu rennen. Ich weiche Leticias Blick aus, die den Kopf aus dem Liegestuhl hebt, in dem sie sich nackt sonnt, stürze ins Zelt und krame nach meinem Handy.
Ich tippe die Nummer so schnell, dass ich mich verwähle.
Ich wähle noch einmal.
Höre das Freizeichen.
Warte.
Vergeblich.
Trotzdem versuche ich es immer wieder, denn es ist dringend: Ich will eine Erklärung, warum sie mir gestern mitgeteilt haben, dass die Operation verschoben ist, ich aber gerade denjenigen gesehen habe, den sie damit beauftragt hatten.
Hämisch grinsend wie eine Hyäne, die frisches Aas wittert.
Nummer Dreizehn.
Aber am anderen Ende der Leitung nimmt niemand ab.
13
Im Restaurant begrüßen mich die Kinder so stürmisch, als
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