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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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einmal fragte, wer sich hinter der Nummer Eins verbirgt, schüttelte er nur ungehalten den Kopf.
    »Ich bin mir nicht einmal sicher, wer eigentlich die Nummer Zwei ist. Und ich will es auch gar nicht wissen. Je weniger man in diesem Business weiß, desto länger lebt man. Und ich will noch viele Jahre leben, um etwas von all der Kohle zu haben … Aber wenn du’s wirklich wissen willst: Ich habe schon länger den Verdacht, dass Nummer Eins nicht eine einzelne Person ist, sondern eine Art Verwaltungsrat, der zusammentritt, um den Tod zu verwalten. Aber zu deinem eigenen Wohl solltest du das sofort wieder vergessen und an Lektion zehn denken.«
    »Ging’s da nicht drum, die Waffe nicht im Hosenbund zu tragen, weil sie losgehen und einem die Eier wegblasen kann?«, fragte ich spöttisch.
    »Kann sein«, erwiderte er achselzuckend. »Such dir die Nummer zu dem, was ich dir gleich sage, einfach selber aus. Bloß vergiss nicht: Egal, für wie wichtig man sich hält oder wie weit man in der Hackordnung aufsteigt, scheißen kann man immer nur nach unten. Klingt richtig poetisch, was?«
    Seit er nicht mehr unter den Lebenden ist, bin ich die Nummer Drei. Ich habe auch schon ein paar Einsätze mit mehr als zwei Leuten koordiniert, ich habe allerdings den Eindruck, dass man mir weniger Teameinsätze überträgt als meinem Vorgänger. Den Auftrag und die dazugehörigen Informationen erhalte ich genau wie bei einer Mission, die ich allein durchführe: per Telefon oder auf CDs, deren Inhalt kopiergeschützt ist und sich wenige Stunden nach Ansicht selbsttätig löscht.
    Neunundvierzig … Fünfzig.
    Eine so vollkommene Stille kann nur das Schlimmste bedeuten. Mit einem Ruck ziehe ich den Reißverschluss hoch und stecke den Kopf ins Zelt.
    Sie sagen kein Wort.
    Das können sie auch gar nicht.
    Niemand kann noch viel reden, wenn sein Mund das Geschlecht des Geliebten liebkost.
    Aber nicht einmal ihre leidenschaftliche Hingabe verhindert, dass sie den Eindringling bemerken und innehalten. Wenigstens teilweise. Als Erste sieht mich Leticia, die zusammenzuckt, als hätte ich sie in flagranti beim Ehebruch ertappt. Der Richter hat den Kopf in der anderen Richtung und glaubt wahrscheinlich, dass es die Kinder sind, denn er versucht hektisch, seinen Schwanz aus dem Mund meiner Ex zu ziehen. Aber ihre Zähne halten ihn nach dem ersten Schreck mit dieser Kaltblütigkeit fest, um die ich sie immer beneidet habe.
    »Was … ist … Juan…ito?«, nuschelt sie mit vollem Mund.
    Mit hochrotem Kopf stammle ich etwas von Antoñitos Nintendo und trete dann, so schnell ich kann, den Rückzug an. Trotz meiner hochgradigen Verwirrung sagt mir mein geschulter Verstand, dass jetzt eigentlich Beltráns Bodyguards auftauchen müssten. So wie es im Handbuch steht: Entweder setzt man einen Killer direkt auf sie an, oder man provoziert eine vermeintlich gefährliche Situation und lockt sie damit aus der Reserve. Um zu wissen, wer sie sind, genügt eine Sekunde, ein Gesichtsausdruck. Man muss nur auf Draht sein.
    Ich sehe mich um.
    Das Paar mit dem lärmenden Autoradio läuft direkt auf mich zu, was aber auch mit dem abschüssigen Weg zu tun haben kann. Und aus der Tür des Restaurants stürmt Sofías schwedischer Bademeister, doch bin ich mir nicht sicher, ob er wirklich hierherwill; ich glaube nur zu erkennen, dass er doch nicht so dümmlich glotzt, wie ich das ursprünglich dachte. Und auch noch eine vierte Person nähert sich mir mit federnden Schritten: Yolanda.
    Einen Moment lang friert die Szene ein, zumindest wirkt es so.
    Aber sie taut sofort wieder auf.
    Das Pärchen joggt an mir vorbei in Richtung Strand.
    Der Schwede begrüßt eine Gruppe Kinder, die sich fünfzig Meter vor uns versammelt hatten, und führt sie zum Pool.
    Und Yolanda läuft wortlos, aber mit einem vielsagenden Blick an mir vorbei auf das Wäldchen zu.
    Ich folge ihr mit gebührendem Abstand, wobei ich versuche, nicht zu denken.
    Ich habe Übung darin, mir keine Fragen zu stellen, die weh tun.
    Auf einer Lichtung, wo wir vor fremden Blicken geschützt sind, erwartet sie mich, und kaum stehe ich vor ihr, schlingt sie ihre Arme um meinen Hals und küsst mich voller Leidenschaft. Wider meinen Willen schießt mir durch den Kopf, dass ihre Hände kräftig genug sind, um mich dabei zu erwürgen. Aber ihr nicht enden wollender, hingebungsvoller Kuss spült sämtliche Zweifel weg.
    »Ich hätte es keine Minute länger ohne dich ausgehalten«, flüstert sie mir ins Ohr, als sich ihre

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