Wir toeten nicht jeden
Verlegenheit.
»Hoffentlich trägt dir das keinen Rüffel ein.«
»Das glaube ich nicht. Auch wenn du wahrscheinlich denkst, das wäre hier an der Tagesordnung, ist es für meinen Chef das erste Mal, dass sich jemand aus seinem Team mit einem Gast eingelassen hat. Das kam zwar sicher vorher schon mal vor, der- oder diejenige war aber wohl diskreter. Deswegen müssen wir wahrscheinlich nur besser aufpassen, dass uns keiner sieht und hört. Ich meine, falls du eine Fortsetzung willst …«
»Und ob ich die will!«
Das sage ich so entschieden, dass sie lächeln muss und mir ganz nahe kommt.
»Ich auch«, flüstert sie. »Und weißt du was? Was ich dir erzählt habe, ich meine, dass es einem nach einer Weile ganz natürlich vorkommt, wenn alle nackt sind, das stimmt wohl doch nicht so ganz. Weil … wenn ich dich so sehe, könnte ich dich auf der Stelle vernaschen.«
Mit einem vielsagenden Lächeln dreht sie sich um und geht zu den Kindern zurück.
Regungslos sehe ich ihr nach und verschlinge sie mit den Blicken.
»Ein wirklich schönes Gemälde, mein lieber Juan. Die schönsten sind die, die bei Tag noch besser aussehen«, höre ich auf einmal Camilleris Stimme neben mir.
Ich kann nur wortlos nicken.
»Kommen Sie, ich lade Sie auf einen Drink und ein paar Tapas ein«, schlägt er grinsend vor. »Ich glaube, Sie brauchen eine kleine Stärkung, nachdem Sie die ganze Nacht den Pinsel geschwungen haben.«
Nach ein paar Gläsern schwerem, blumigem Wein aus Murcia und ebenso vielen Portionen köstlicher pescaítos fritos vertreten wir uns noch ein wenig die Beine. Wie sich auf der Party schon andeutete, fühle ich mich in der Gesellschaft des Professors äußerst wohl. Er besitzt eine umfassende Bildung, mit der er sich jedoch nicht brüstet, und wenn ich etwas von meinen Kenntnissen und Vorlieben durchblicken lasse, die ich vor anderen normalerweise verberge, dann nicht, um mit ihm zu konkurrieren, sondern um auch meinerseits etwas zu unserer Unterhaltung beitragen zu können. Die Frage nach dem Pseudonym, unter welchem seine Krimis erscheinen, verkneife ich mir jedoch, aber sobald ich wieder in Madrid bin, werde ich der Sache nachgehen und mir dann seine Romane besorgen. Er spricht nicht viel davon, und das macht mich neugierig. Die meisten Schriftsteller brauchen nämlich die Bewunderung der anderen, um an sich selbst glauben zu können.
»Ich habe mit dem Schreiben begonnen, um im Ruhestand eine Beschäftigung zu haben. Und natürlich auch aus Eitelkeit, das kann ich nicht leugnen. Ich gehe liebend gern zu Literaturvorträgen, bei denen namhafte Professoren, die mich normalerweise wie Luft behandeln, stundenlang meine Bücher rühmen, ohne zu wissen, dass ich der Autor bin.«
Camilleri tickt so wie ich, denke ich. Ich bin kein Sammler von Zeitungsartikeln über meine beruflichen Erfolge, aber wenn einer meiner Aufträge – nur wenige, schließlich ist in meinem Job Diskretion Ehrensache – es in den Fernsehnachrichten zum Aufmacher bringt, erfüllt mich das doch mit einem gewissen Stolz.
»Der erste Roman verkaufte sich so gut, dass ich dafür meinen großen Traum aufgab und weiterschrieb.« Der Professor ist stehen geblieben und blickt kurz Richtung Strand, von wo gerade eine junge Familie zurückkommt. »Ich habe immer davon geträumt, nach Sizilien zurückzukehren und in irgendeinem Dorf an der Küste eine Trattoria zu eröffnen.«
»Haben Sie lange dort gelebt?«
»Nein.« Verlegen lächelnd schüttelt Camilleri den Kopf. »Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie auf Sizilien gewesen. Aber mein Großvater stammte von dort, und schon als kleiner Junge liebte ich die typisch sizilianischen Gerichte und ließ schon ihre Namen genüsslich auf der Zunge zergehen. Meine Trattoria sollte keines dieser Schickimicki-Restaurants mit minimalistischer Speisekarte werden, sondern ein einfaches Speiselokal mit all den bodenständigen Fleisch- und Fischgerichten, die einfach so unnachahmlich schmecken …«
»Anelletti«, schlage ich vor.
»Caponata«, seufzt er, und ich habe sofort den leicht bitteren Geschmack der Auberginen im Mund.
»Panelle«, locke ich ihn.
»Moffolette«, setzt der alte Herr genießerisch dagegen, sodass ich fast schon das im Holzofen gebackene, mit allen möglichen Dingen gefüllte Brot zu schmecken glaube, und sagt dann verwundert: »Waren Sie schon mal auf Sizilien, Juan?«
Ich sollte seine Frage eigentlich verneinen, und es wäre nicht einmal völlig gelogen, weil ich für meine
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