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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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käme ich gerade von einer Weltreise zurück. Sogar Leti. Antoñito bedauert, sein Nintendo DS im Zelt vergessen zu haben, endlich hatte er es bis zu ich weiß nicht welchem Level geschafft, was er mir unbedingt zeigen wollte. Vom anderen Ende des Raumes winkt Tony in einem noch grässlicheren Hemd als gestern, während Sofía ihre perfekte Nase rümpft. Drei Tische weiter hebt Camilleri zerstreut, aber höflich das Glas. Nur Yolanda entdecke ich nirgends und auch nicht Leticia und den Richter.
    »Mami kommt nicht«, informiert mich meine Tochter. »Gaspar muss heute Abend nach Madrid zurück, und da wollen sie sich vorher noch ein bisschen unterhalten, hat sie gesagt.«
    Kurz stelle ich sie mir bei ihrem leidenschaftlichen Abschied im Zelt vor. Zu meinem Erstaunen packt mich jedoch nicht die Eifersucht. Weil mir plötzlich aufgeht, dass Leticia schon seit geraumer Zeit Vergangenheit ist, die Vergangenheit eines anderen, dieses Juanito Pérez Pérez, der ich war und doch nicht war und der inzwischen nur noch eine der vielen Persönlichkeiten in meiner Sammlung ist.
    Und weil neben der Sehnsucht nach Yolanda und der Sorge wegen Nummer Dreizehn in meinen Gedanken auch kein Raum dafür bleibt.
    Mein Kollege fehlt nämlich ebenfalls. Ich werde wirklich nachlässig. Gibt es einen besseren Zeitpunkt, den Richter zu liquidieren, als jetzt, da die meisten FKKler zum Baden in der Bucht oder hier beim Essen sind?
    Unter dem Vorwand, Antoñitos Nintendo zu holen, stehe ich auf und gehe in Richtung Ausgang. Während ich in meiner Gürteltasche unauffällig nach dem tödlichen Taschenrechner taste, sehe ich ihn jedoch schon zur Tür reinkommen. In einem knallbunten Muskelshirt und einer knappen Leoparden-Badehose ist Nummer Dreizehn auch nicht zu übersehen.
    Warum grinst er so? Warum grinst er mich an?
    »Na, wie läuft’s, Chef?«, grüßt er, als sich unsere Wege am Tresen kreuzen.
    Ich antworte nicht, sondern eile weiter, hinaus, zu unseren Zelten. Er könnte ihn bereits getötet haben. Sie beide getötet haben. Aber dann würde er nicht seelenruhig essen gehen. Oder doch? Kommt darauf an, wie er’s getan hat. Und was mit dem in Auftrag gegebenen Mord bezweckt werden soll. Wenn er als Warnung für andere gedacht ist, tötet man aufsehenerregend, damit die Sache Schlagzeilen macht. Wenn der Betreffende hingegen gefährlich ist, sollte man es wie einen Unfall oder einen natürlichen Tod aussehen lassen. In unserem Handbuch sind über hundert Methoden beschrieben, die zum gewünschten Erfolg führen. Meistens jedenfalls.
    Im Zelt von Leticia und dem Richter ist es ruhig. Vor einem nahe gelegenen Wohnwagen isst ein Pärchen von Neulingen zu Mittag und stört mit dem Geplärre ihres Autoradios die Mittagsruhe. Ich halte die Luft an, um besser lauschen zu können.
    Im Zelt ist es eindeutig zu ruhig.
    Ich werde bis fünfzig zählen und dann den Reißverschluss öffnen.
    Bei zwei frisch Verliebten, die sich verabschieden, sind irgendwann unweigerlich Liebesschwüre oder Gestöhne zu hören. Außer, sie sind danach eingeschlafen. Aber Beltrán muss demnächst aufbrechen, und er gehört nicht zu denen, die der Schlaf übermannt, wenn eigentlich die Pflicht ruft. Nicht einmal in den Armen meiner Ex.
    Vierundzwanzig … Fünfundzwanzig …
    Und die Bodyguards? Ich kann noch immer keinen von ihnen entdecken. Wenn etwas passiert wäre, müssten sie es eigentlich als Erste bemerkt haben, voller Bedauern über den Knick in ihrer beruflichen Karriere. Außer, sie sind ebenfalls tot, weil er sie noch vor dem eigentlichen Auftrag geräuschlos beseitigt hat. Nummer Dreizehn kann das. Ich auch. Nur dass er dabei eine unbändige Lust empfindet, während ich bloß meine Arbeit tue. Aber sind wir wirklich so verschieden, wie ich glaube, oder mache ich mir da vielleicht was vor?
    Fünfunddreißig … Sechsunddreißig …
    Nach wie vor ist nur das Radiogedudel der Nachbarn zu hören. Warum hat Nummer Dreizehn mich »Chef« genannt? Na ja, strenggenommen bin ich das, denn die Nummer Drei ist der oberste Rang, den ein Todesbote der FIRMA einnehmen kann, und koordiniert einen gemeinsamen Einsatz. Die genauen Anweisungen erhalte ich aber natürlich von oben. Ich bin so etwas wie ein Feldwebel oder allenfalls ein Hauptmann, der seine Kompanie gehorsam dahin führt, wohin namenlose Generäle es ihm befehlen. Nicht einmal die ehemalige Nummer Drei, derjenige, der am meisten über die FIRMA in Erfahrung gebracht hatte, wusste viel mehr. Als ich ihn

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