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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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würden, wenn er keinen Cent hätte. Was er genau weiß. Und alle anderen wissen das auch. Diese Schönheiten dokumentieren folglich seinen erreichten Status. Verstehst du jetzt?«
    »Und was ist daran lächerlich?«
    »Eins nach dem anderen, mein Junge. Also, auf seinem Weg nach ganz oben kann der Typ natürlich einen Herzinfarkt erleiden, für irgendeine seiner Transaktionen in den Knast wandern oder jemandem dermaßen auf den Geist gehen, dass er von einem von uns ›Besuch‹ bekommt. Aber dieses Risiko hat er wie so viele andere einkalkuliert. Was unser Mann jedoch nicht bedacht hat, ist, dass er sich vielleicht eines Tages in eine von diesen Sahneschnitten verliebt. Und genau das macht ihn schließlich zum Gespött der Leute. Denn die Frau, die vorher noch ein Statussymbol war, ist nun sein wunder Punkt, sodass er auf einmal nicht länger Respekt und Angst einflößt und dieselben, die bis dahin seine Sammlung toller Bräute bewundert haben, sich jetzt hinter seinem Rücken über ihn kaputtlachen. Und was lernen wir daraus?«
    Ich blieb stumm, denn wie ich wusste, war seine Lehrstunde gleich zu Ende, und ich wollte ihm nicht vorgreifen.
    »Wir lernen daraus, dass die Liebe beschissen ist«, schloss die frühere Nummer Drei, und für gewöhnlich kippte sein Kopf dann vornüber auf den Tresen, und er begann zu schnarchen.
    Ich ertrug seine pseudophilosophischen Ergüsse, weil er sie nur mir gegenüber an den Tag legte, der Vorschuss auf ein Geheimnis, das er mir irgendwann enthüllen würde. Einzig und allein mir gegenüber gestand sich die frühere Nummer Drei diese Schwäche zu, genauso wie er mir Ratschläge zu meiner Ehe erteilte oder mir aus seinen Urlauben in fernen Sextourismus-Paradiesen unheimliche Masken, knallbunte Teppiche oder grob geschnitzte Holzfiguren mitbrachte.
    »An solchen Orten können sie sich die hässlichste Kunst leisten, weil ihre Frauen wahnsinnig sexy sind«, erklärte er selbstgefällig, wenn er mir etwa dreimal im Jahr eines dieser grauenhaften Souvenirs überreichte.
    Leticia verabscheute die schrecklichen Geschenke meines »Slipeinlagen-Kollegen«. Die Sammlung wurde deshalb in den Raum des Hauses verbannt, den sie spöttisch mein »Büro« nannte. Als ich nach der Trennung dann in mein jetziges Apartment zog, packte ich alle in Kartons, und dort blieben sie. Die alte Nummer Drei, die mich öfter besuchte, obwohl das eigentlich gegen die Regeln verstieß, fragte nie nach, brachte mir von seinen Reisen jedoch weiterhin hässliche Andenken mit. Und was tat ich? Ich bedankte mich, legte sie in einen Karton und vergaß sie. Sein letztes Geschenk stammte aus Afrika und war ein anderthalb Meter großer, grimmig blickender Götze aus weichem, schwarzem Holz. Mit überdimensionalen Geschlechtsteilen.
    »So gut sind die Schwarzen dort bestückt, mein Junge«, erklärte er, als ich sein Mitbringsel auspackte. »Aber die schwarzen Frauen lieben nun mal weiße Haut und die Tricks von alten Hasen wie ich. Zumindest können sie sich erstklassig verstellen.«
    Als ich den Befehl bekam, ihn zu töten, packte ich die Sammlung aus und verteilte sie in der ganzen Wohnung. Der Götze bekam einen Ehrenplatz. Mit seinem grob geschnitzten Schädel und den riesigen Fäusten war er der Inbegriff der Brutalität, doch flößte er mir gleichzeitig großes Vertrauen ein, ich begriff nur nicht, warum, und betrachtete ihn eine ganze Weile lang – bis mir aufging, dass er mich an Nummer Drei erinnerte.
    Am selben Abend besuchte er mich. Als er die düstere Ausstellung in meinem Wohnzimmer sah, sagte er kein Wort. In seiner Miene spiegelte sich Traurigkeit, wenn auch kaum merklich. Er blieb vor dem Götzen stehen.
    »Er ist potthässlich, nicht wahr? Aber ich finde ihn lustig, weil er mir ähnlich sieht. Jedes Mal, wenn du ihn anschaust, wirst du an mich denken. Danke, mein Junge«, sagte er gerührt.
    Eine Woche später brachte ich ihn um.
    Gut möglich, dass die Liebe beschissen ist und einen mehr als jedes andere Gefühl der Lächerlichkeit preisgibt. Aber sie ist trotzdem wunderbar. Nicht einmal all das, was Yolanda verdächtig macht, kann mein Glück trüben. Für jeden Zweifel gibt es zehn denkbare Erklärungen, und das Einzige, das ich mit der Grübelei für mich herausholen kann, ist eine Denkpause und ein Argument, das einer genaueren Prüfung sicher nicht standhält: Sollte sie tatsächlich in die Sache verwickelt sein, ist es besser, in ihrer Nähe zu bleiben. In greifbarer Nähe, wohlgemerkt.
    Das

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