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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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allen nur denkbaren Erpressungen (nur den Sex ließ sie außen vor) gelang es ihr in all den Jahren unseres Zusammenlebens nie, dass der schüchterne Juanito das Rauchen aufgab.
    Nicht einmal die frühere Nummer Drei schaffte das.
    »Wenn du zu den Nutten gehen würdest, könnte ich das ja noch verstehen«, begann er immer, wenn wir irgendwo gemeinsam einem »Kunden« auflauerten. »Letztlich fördert das deine Treffsicherheit: Ein Killer, der sich sexuell austobt, tötet besser. Verstehen könnte ich auch, wenn du trinken würdest. Solange man sich nur nicht direkt vor dem Einsatz besäuft. Wenn die Stimmen im Kopf laut werden, bringt man sie mit Alkohol am besten zum Schweigen. Aber dass du rauchen musst … Ich selber rauche ja auch wie ein Schlot, aber ich bin ich, und mir ist nicht mehr zu helfen. Du hingegen … Du hältst dich durch körperliches Training topfit, isst vernünftig – und teerst dann deine Lunge. Das will mir einfach nicht in den Kopf.«
    In solchen Situationen sagte ich nie etwas. Meist stand ich an einem Fenster und spähte durch die Ritzen der heruntergelassenen Jalousie nach draußen, die Arme aufgestützt, das Gewicht auf beide Beine verteilt und das Gewehr auf eine belebte Straßenecke, ein gegenüberliegendes Fenster oder eine Lücke zwischen zwei Gebäuden gerichtet. Die Zigarette hing unangezündet zwischen meinen Lippen. Erst kurz vor dem entscheidenden Augenblick – intuitiv spürt man, wann der »Kunde« ins Blickfeld kommen wird – zündete ich sie an.
    Das Auge am Visier, inhalierte ich tief den Rauch, während draußen die Zeit stehen blieb.
    Dann drückte ich ab.
    Und stieß den Rauch wieder ganz langsam aus.
    Ohne Eile packten wir dann unsere Sachen zusammen und verließen das Haus wie zwei ganz gewöhnliche Passanten. Ein Schuss hatte genügt, ein einziger, wir blieben nicht einmal in der Nähe, um uns davon zu überzeugen, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. Wir beide wussten, dass dem so war. Dann zog die frühere Nummer Drei ein Feuerzeug aus der Tasche und gab mir Feuer.
    »Weißt du was, mein Junge? Rauch, so viel du willst«, murmelte er in einem Ton, der bei ihm der Zuneigung am nächsten kam.
    Tags darauf nahm er den Kampf gegen meine Raucherei jedoch wieder auf. Und jedes Mal, wenn er mich sonst irgendwo fragte, warum ich rauche, antwortete ich ihm dasselbe wie Leticia, dasselbe wie nun Antonio.
    »Weil’s mir schmeckt. Und der Rauch keine Fragen stellt.«
    Ich weiß nicht mehr, aus welchem Gangsterfilm dieser Satz stammt, wahrscheinlich aus einem mit Bogart, aber ich bin mir nicht sicher. Tony und ich haben ihn nur einmal gesehen, als wir zehn waren, aber der Spruch des Helden mit der Zigarette im Mund und den halb geschlossenen Augen beeindruckte uns derart, dass wir ihn übernahmen, auch wenn Piraten eigentlich nicht rauchten und wir erst Jahre später damit anfingen, kurz bevor Tony ein Held sein wollte und ich herausfand, dass ich danebenschoss, wenn’s drauf ankam.
    Mein Auge sieht übel aus, es ist geschwollen und blutunterlaufen, aber zum Glück ist das eigentliche Sehorgan nicht verletzt. Ich schicke Antonio schon mal vor unter dem Vorwand, dass ich noch eine Ewigkeit fürs Rasieren brauche, aber in Wirklichkeit will ich nur, dass er geht. Und zwar auf der Stelle.
    Während ich mein Auge frisch verbunden habe, habe ich im Spiegel nämlich Nummer Dreizehn entdeckt. An die geflieste Wand am anderen Ende der Duschen gelehnt, schaut er spöttisch zu mir herüber.
    Sobald wir allein sind, schlendert er näher.
    »Na, 007, wie geht’s denn so? Obwohl … vielleicht sollte ich dich bei dem Verband ja eher Piratenkapitän a. D. nennen.«
    Ich erwidere nichts. Sehe ihn nur an. Wie lange hat er uns schon beobachtet? Wie konnte mir so was nur passieren?
    »Nicht sauer werden, Chef. Dir geht’s doch gerade super, so splitternackt und mit der ganzen Sippschaft im Schlepptau«, sagt er und grinst dreckig.
    Ich bedauere es, das Zigarettenpäckchen im Zelt vergessen zu haben; meine Hände wollen beschäftigt sein, während ich überlege. Irgendwann würde ich ihn umbringen. Aber jetzt? Mit meinem verbundenen Auge bin ich eindeutig im Nachteil, zumal Nummer Dreizehn locker fünfzehn Kilo mehr wiegt als ich. Und ich bin nicht bewaffnet und will hier keinen Ärger.
    »Du bist ein Glückspilz, Chef. Dein Sohn ist echt klasse. Und das Mädchen … na ja, die ist schon eine richtige halbwüchsige Göre.«
    Er will mich provozieren. Damit ich die Nerven verliere und

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