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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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frischmachen.«
    Ganz bibliophiler Dandy, trotz der überdimensionalen Bermudas und des Hemdes, dessen Farbenpracht selbst Tony erschrecken würde, schlendert der Professor davon.
    »Ein sympathischer Mann«, meint Beltrán, der ihm auch nachgeblickt hat, und sich nun wieder mir zuwendet. »Unglaublich, wie viele Leute du schon in den paar Tagen kennengelernt hast, Juan. Nach dem, was Leticia mir erzählt hat, hatte ich mir dich ganz anders vorgestellt, viel …«
    »… lächerlicher?«
    »Nein, wie kommst du denn darauf? Glaubst du etwa, sie redet schlecht über dich? Ganz im Gegenteil. Manchmal denke ich sogar, sie ist immer noch ein bisschen in dich verliebt. Aber gleichzeitig ist sie auch richtig, richtig sauer auf dich. Darf ich fragen, was du getan hast? Sosehr ich auch nachbohre, sie spricht nicht darüber …«
    »Ich habe einen Fehler begangen, den du nie machen wirst, Gaspar. Ich habe es nicht verstanden, ein Held zu sein.«
    »Und ich soll einer sein? Da irrst du dich aber gewaltig. Klar, als ich als junger Hüpfer anfing, hier und da den Dingen auf den Grund zu gehen, dachte ich noch, die hehre Gerechtigkeit wäre jedes Opfer wert. Aber seit ich mich in Leticia verliebt habe … es macht dir doch nichts aus, wenn ich darüber rede?«
    »Nein, sei unbesorgt.«
    »Ich meine, seit ich mich mit dem Gedanken trage, eine Familie zu gründen … na ja, um ehrlich zu sein, eigentlich auch schon vorher, habe ich richtig Schiss. Jeden Sonntag beschließe ich, alles hinzuschmeißen, und jeden Montag hoffe ich, es ist der letzte. Was denkst du, Juan, wie würde Leticia reagieren, wenn ich das Richteramt an den Nagel hängen würde?«
    »Es wäre für sie eine Katastrophe, Gaspar. Und glaub mir, ich weiß, was ich sage«, rufe ich entsetzt.
    Angst. Mein furchtloser, allen die Stirn bietender Richter hat Angst. Und das nicht nur vor Attentaten und Racheakten. Er hat Angst davor, normal zu sein, nicht mehr länger der gefeierte Richter Beltrán, sondern nur noch Gasparillo zu sein. Vor den Augen einer Leticia zu schrumpfen, die den Mann an ihrer Seite immer auf einen Sockel stellen muss.
    Und deshalb erkläre ich ihm dann in aller Ausführlichkeit, wie meine Ex tickt. Schweigend denkt er darüber nach. Und dann trinken wir. Seit ich hier bin, trinke ich viel zu viel.
    »Und für ihren Vater wäre es noch viel schlimmer«, schicke ich meinen Ausführungen noch hinterher. »Dessen Bekanntschaft hast du ja sicher schon gemacht, oder?«
    »Ein Mann von Format. Für meinen Geschmack ein bisschen rückschrittlich, um nicht zu sagen reaktionär. Aber das bleibt bitte unter uns …«
    »Und außerdem, was würdest du dann tun? In der Provinz eine Kanzlei aufmachen, um genau die Leute zu verteidigen, die du jetzt verfolgst und vor Gericht bringst? Es tut mir echt leid, Gaspar, aber ich sehe keinen Ausweg für dich. Im Laufe des Lebens entwickelt man eine Persönlichkeit. Eine ganze Weile kann man sich davon innerlich vielleicht noch distanzieren, aber irgendwann kommt der Moment, da man mit ihr verschmolzen ist. Wenn man seine Maske also nicht rechtzeitig hat fallen lassen, kann man nur noch versuchen, das eigene Gesicht abzureißen; und das tut weh, Beltrán, verdammt weh.«
    Beltrán blickt auf seinen Martini, er denkt nach, und ich respektiere sein Schweigen. Schließlich sieht er mich mit ernster Miene an.
    »Ich glaube, du hast recht. Obwohl du mir damit den Tag und meine Pläne versaust. Es bestätigt mir allerdings auch, was ich vorhin schon gesagt habe: Du bist nicht der, für den ich dich Leticias Erzählungen zufolge gehalten habe. Welche ist deine Maske, Juan, welches ist dein wahres Ich?«
    Ich muss die Notbremse ziehen und lache laut auf. »Ich? Ich bin ich, Juanito Pérez Pérez, nichts weiter. Nimm mich bloß nicht zu ernst, Gaspar. Du hast ja den Professor gehört: Gestern Nacht haben wir ordentlich gebechert, und heute kippe ich mir auch schon den halben Vormittag einen hinter die Binde. Wer nicht zum Helden taugt, kann sich das leisten.«
    Aber er glaubt mir nicht. Das fühle ich instinktiv. Vielleicht trügt bei ihm der Schein aber auch, wer weiß, vielleicht arbeitet er sogar für dieselben Leute wie ich. Der alten Nummer Drei zufolge gibt es auf der Gehaltsliste der FIRMA auch einige hochgestellte Persönlichkeiten. Warum also nicht Beltrán? Oder Arregui? Womöglich gehört diese ganze Verhörerei zu dem perfiden Spiel, das man gerade mit mir spielt. Womöglich ist einer der beiden sogar der

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