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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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ich lasse es nicht zu, verschließe ihren Mund mit meinen Lippen, erfinde ein neues, kindliches Spiel, um die Geständnisse hinauszuzögern, vielleicht aber auch, weil ich eine weitere Lüge fürchte. Ich nehme an, sie begreift meine Absicht oder ihr Organismus erzwingt einen Toilettenbesuch. Ein Blick auf ihren Wecker verrät, dass mir noch dreißig Minuten bleiben, und der Teil von mir, der noch ganz von Yolanda durchdrungen ist, drängt darauf, den Abschied, feucht wie eine heiße Träne, zu wiederholen.
    Aber es wird Zeit, den Kopf zu benutzen, und zwar nicht den Kopf.
    Als Yolanda noch nass vom Duschen aus dem Bad zurückkommt, bin ich bereits aufgestanden und habe die Trainingshose angezogen.
    »Warum?«, fragt sie wie ein kleines Mädchen, das an seinem ersten Ferientag hinauf in den Himmel sieht und lauter dunkle Wolken entdeckt.
    »Weil wir dieses Spiel nicht weiterspielen können, Yolanda. Falls du überhaupt Yolanda heißt. Ich weiß, dass du nicht zu ihnen gehörst, aber ich weiß nicht, wer du bist. Und es bleibt keine Zeit mehr, das herauszufinden. Du musst verschwinden. Sofort. Jetzt wird es für alle brenzlig, aber sie und ich wissen zumindest, was gespielt wird.«
    »Juan, ich …«
    Leise weinend umarmt sie mich, und ihre Tränen sind echt. Ich schiebe sie sanft von mir weg und hole aus ihrem Schrank das, was ich gefunden habe, als sie im Bad war. Ein gelber Regenmantel, in dessen Falten sich noch ein paar Regentropfen von der Nacht vor dem The End verstecken.
    »Letzte Nacht habe ich dich gesehen. Aber ich konnte mich später nicht erinnern, oder vielleicht wollte ich es auch nicht wahrhaben, dass du das warst. Du hattest gute Lehrer, aber es waren ganz offensichtlich keine aus der FIRMA. War das Zufall, dass du dir unter der Kapuze eine Zigarette angezündet hast, oder wolltest du, dass ich dich erkenne?«
    »Das weiß ich selbst nicht. Ich bin dir gefolgt, weil ich Angst hatte, dass sie dich in einen Hinterhalt locken, aber dann sah ich euch raufen und hörte, wie der andere immer wieder den Namen einer Frau schrie … Das musst du mir glauben, Juan.«
    »Ich glaube dir, aber das ist jetzt nicht mehr so wichtig. Du musst los. Deine Mission, wie auch immer sie gelautet hat, ist zu Ende. Und ich habe hier ein paar Dinge zu erledigen, von denen mein Leben abhängt, aber vor allem das Leben von den für mich wichtigsten Menschen überhaupt. Ich kann es mir nicht leisten, jemanden Gefährlichen im Rücken zu haben, den ich nicht töten kann.«
    Sie tritt einen Schritt zurück, um mir in die Augen zu sehen. Ganz tief.
    »Dann bist du auch …?«
    »Ja, das bin ich. Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Versprich mir, dass du spätestens in einer halben Stunde verschwunden bist. Versprich es mir, wenn dir wirklich etwas an mir liegt.«
    »Versprochen. Und ich heiße wirklich Yolanda und will nach wie vor mehr.«
    Ich öffne die Tür und sehe sie ein letztes Mal an. Zum ersten Mal, seit diese ganze Geschichte begonnen hat, weiß ich, dass etwas über jeden Zweifel erhaben ist. Aber es ist mir trotzdem verschlossen.
    »Ich hätte auch gern mehr, Yolanda«, sage ich. »Aber ich glaube nicht, dass ich noch die Gelegenheit dazu bekomme.«
     

28
     
    Es ist fünf vor elf. Ich lehne an einem Baum und rauche, während ein paar Camper an mir vorbei zu ihren Zelten gehen, in Farben gekleidet, die sie von der Nacktheit des zu Ende gehenden Tages abheben sollen. Selbst ich habe mich, wenn auch aus anderen Gründen, dieser Kleiderordnung angepasst. Ich trage Turnschuhe und ein weites Hemd, das ich aus dem Kofferraum gefischt habe, dazu immer noch die Trainingshose, die Arregui mir geliehen hat, im naiven Aberglauben, dass der Kommissar deshalb unsere Abmachung einhalten wird. In der Gürteltasche habe ich alles, was ich für meinen Plan brauche, ein armseliges Arsenal. Ich höre auf, meine Strategie durchzugehen, denn je öfter ich sie analysiere, desto mehr Schwächen entdecke ich. Ich habe die Hilfe eines hartgesottenen Polizisten und die einer durchtrainierten, verliebten Frau abgelehnt, um einen siebzigjährigen Schriftsteller um Unterstützung anzubetteln. Falls es mir überhaupt gelingt, Camilleri zu überreden. In Kürze wird er vom Abendessen im Restaurant und dem Digestif zu seiner Hütte zurückkehren. Ich hoffe, es ist bei einem Schnäpschen geblieben, ich brauche ihn nüchtern.
    Aber der gutmütige Professor wäre nicht so alt geworden, wenn er das Trinken immer bis zum Exzess treiben würde.

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