Wir toeten nicht jeden
gewissen Situationen auch keine Bücher. Ich muss das Handbuch der FIRMA vergessen und meinem eigenen Drehbuch folgen.
Mir genügen wenige Sätze, um dem Richter begreiflich zu machen, dass die Lage ernst ist und er nicht die Polizei einschalten darf. Schließlich werden Leti und Antonio demnächst quasi seine eigenen Kinder sein.
»Bevor du auf den Campingplatz kommst, Gaspar«, sage ich zu ihm, »häng deine Bodyguards ab.«
»Ich habe im Urlaub keine Bodyguards, Juan. Das haben Leticia und ich so entschieden, wir wollten Intimität …«
»Aber das garantiert nicht, dass sie auf dich aufpassen, ohne dass du es weißt. Verhalte dich also ganz normal. Kauf irgendwo einen Koffer und nimm zwei Zimmer in einem namhaften Hotel in Cartagena, so, als wolltet ihr dort ein paar Tage mit den Kindern verbringen. Dreh dann so lange eine Runde, bis du alle potentiellen Verfolger abgehängt hast. Danach fahr in eins der Dörfer im Umland und miete eines der Wochenendhäuser, die hier in der Gegend direkt vom Besitzer vermietet werden. Sobald du etwas Passendes gefunden hast, rufst du Txema Arregui auf dem Handy an und sagst ihm, wo du bist. Er wird Leticia und die Kinder zu dir bringen.«
»Und warum rufe ich nicht direkt diese Nummer an, die von Leticia?«
»Weil dieses Telefon eine wichtigere Mission zu erfüllen hat.«
Ein leiser Piepton und ein Hinweis auf dem Display zeigen mir, dass gerade jemand anders mich anrufen will, aber ich spreche weiter. Ich weiß, warum sie anrufen, doch sie sollen warten.
Der Richter ist hin- und hergerissen zwischen blindem Gehorsam, zu dem ihn mein Ton nötigt, und der Furcht, irgendeine Schuld auf sich zu laden. Moralisch integre Leute bilden sich vorsichtshalber immer irgendeine Schuld ein.
»Ich werde tun, was du sagst, Juan. Aber glaubst du nicht, sie haben sie vielleicht wegen mir entführt?«
»Du hast damit nichts zu tun, Gaspar. Hier geht es um mich. Txema wird es dir später erklären. Übrigens, du hast doch eine Dienstpistole, oder?«
»Ja. Ich habe schon viel geübt, aber ich weiß nicht, ob …«
»Ich hoffe, es kommt nicht zum Ernstfall, Gaspar.« Ich gehe noch ein paar Schritte, damit Leticia mich nicht hören kann. »Und noch etwas: Ich habe dich immer bewundert, aber wenn du kneifen willst, dann sag’s lieber gleich. Wenn du meine Familie im Stich lässt und ich mit heiler Haut davonkomme, können dich nicht einmal die besten Bodyguards der Welt schützen, Star-Richter …«
»Red keinen Quatsch, Juan. Ich habe zwar keine Ahnung, was los ist, aber du weißt genau, was du tust … Und übrigens, vielleicht ist das jetzt nicht der richtige Moment, aber nach allem, was du sagst, ist es vielleicht die letzte Gelegenheit.«
»Spuck’s aus, Gaspar.«
»Gestern Abend in der Kneipe … ich wollte dir erzählen, dass ich Leticia einen Antrag machen will. Du solltest es als Erster erfahren, und ich wollte dich fragen, ob du was dagegen hast.«
»Ganz im Gegenteil, Gaspar. Das zeigt mir, dass du für meine beziehungsweise unsere Familie kämpfen wirst. Du hast meinen Segen oder was immer man da sagt, Gaspar. Aber bitte mich nicht, euer Trauzeuge zu werden – auf Hochzeiten heule ich immer wie ein Schlosshund«, sage ich und drücke dann auf den roten Knopf.
Leticia sieht mich mit so großen Augen an, dass ich mir Erklärungen spare.
»Später erzähle ich dir alles. Und wenn nicht von mir, erfährst du es von anderen. Jetzt müssen wir in erster Linie pragmatisch sein. Wann haben sie das letzte Mal angerufen?«
»Vor einer Viertelstunde. Sie waren nervös, es war das vierte Mal, dass …«
Das Handy klingelt wieder, und diesmal bleibe ich stehen. Leticia hat das Recht, mitzuhören.
»Juan Pérez Pérez«, sage ich in den Apparat.
»Endlich!«, ruft die Stimme mit einem seltsamen Akzent. »Wir meinen es ernst, Señor Pérez.«
»Schluss mit diesem Schwachsinn! Gib mir eins der Kinder, sonst schalte ich das Handy aus.«
»Aber … Offenbar begreifst du den Ernst der Lage nicht, wir …«
»Meinen Sohn«, unterbreche ich die Stimme energisch. »Gib mir meinen Sohn, sonst läuft hier gar nichts. Und wenn er nicht bei dir ist, hol ihn ans Telefon und ruf dann noch mal an. Dann können wir verhandeln.«
»Die Bedingungen stellen immer noch wir …«
Ich lege auf.
Leticias Augen sind zwei Vollmonde: Entweder wird sie sich gleich wie eine Furie auf mich stürzen oder das tun, was ich ihr sage. Mit einer Geste bitte ich sie um eine Zigarette, und sie läuft
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