Wir toeten nicht jeden
augenblicklich zum Zelt. In Wirklichkeit ist mir gar nicht nach Rauchen zumute, aber ich wollte testen, ob sie sich querstellen wird. Sie kommt mit zwei brennenden Zigaretten zurück und setzt sich neben mich ins Gras. Von Weitem sehen wir bestimmt aus wie ein vertrautes Paar, das die Sonnenstrahlen der letzten Abendstunden genießt, bevor es sich ins Zelt zurückzieht, um sich mehr lustvoll als routiniert zu lieben. Und irgendwann waren wir sicher auch so.
»Und wenn sie nicht mehr anrufen?«
»Sie werden anrufen, Leticia, ganz sicher, und zwar bald. Im Grunde lechzen sie nämlich nach Anweisungen. Das hier hat mit meinem wahren Beruf zu tun, nicht mit dem, den du kennst. Und in meinem Metier bin ich der Beste. Ich weiß, dass ich dich in der Vergangenheit enttäuscht habe, aber …«
»O nein, Juan, ich war diejenige, die dir einen Schatten andichten wollte, der noch größer war als der meines Vaters. Du hast mir nie etwas versprochen, Juan.«
»Stimmt. Aber jetzt verspreche ich dir etwas: Ich werde die Kinder da heil rausholen.«
»Weißt du denn, wo sie sind?«
»Möglicherweise. Aber vor allem weiß ich, wer sie in seiner Gewalt hat und was er dafür will.«
»Wirklich?«
Bevor ihr neu erwachtes Vertrauen Risse bekommt, klingelt das Handy, und ich gehe ran. Antonios Stimme. Er klingt nicht verängstigt. Und er will auch nicht verängstigt sein. Bravo, mein Junge.
»Hallo, Papa. Keine Sorge, sie haben uns nichts getan. Sie haben aber richtige Pistolen. Ich darf dir nicht sagen, wo wir sind, aber ich bin mir sicher, dass du uns retten wirst. Weißt du, in den letzten Tagen habe ich gemerkt, dass du jemand Besonderes für mich bist. Jemand ganz, ganz Besonderes …«
Jemand reißt ihm das Telefon weg, und auf einmal ist wieder die Stimme von vorhin zu hören, die mit einem so starken ausländischen Akzent spricht, dass es sich nach Operette anhört.
»Nachdem du deinen Willen bekommen hast, nun also zu uns. Hast du es?«
»Ja, aber nicht hier. Vielleicht hast du es noch nicht gemerkt, du Schlaumeier, aber ich bin auf einem FKK-Campingplatz.«
Er schnaubt. Man kann geradezu die Rädchen in seinem Gehirn hören. Und die sind nicht gut geölt.
»Wann hast du es dann?«
»Um Mitternacht. Keine Minute vorher. Um Mitternacht rufst du mich an, und wir organisieren die Übergabe. Und ich warne dich: Wenn du meinen Kindern auch nur ein Haar krümmst, wirst du so langsam und qualvoll sterben, dass du genug Zeit hast, zu lernen, wie man auf Spanisch und noch einem Dutzend anderen Sprachen flucht.«
Ich drücke auf die rote Taste, und Leticia streckt ihre Hand nach dem Telefon aus, aber jeder Protest verflüchtigt sich, als ich sage: »Ich weiß jetzt, wo sie sie festhalten.«
»Wir müssen Gaspar informieren und die …«
»Weder Gaspar noch sonst jemanden. Dein Richter weiß schon, was er zu tun hat, und du wirst jetzt die beiden Zelte abbauen und alles in dein Auto packen. Und dann wartest du auf Gaspars Anruf; er wird dir sagen, was du tun sollst. Und wenn die Kinder kommen, machst du dich mit ihnen sofort auf die Socken. Verstanden?«
Sie umarmt mich und läuft zu unseren Stellplätzen, um meine Anweisungen zu befolgen. Während ich ihr hinterhersehe, schießt mir durch den Kopf, dass unsere Ehe vielleicht funktioniert hätte, wenn ich mich, statt in mich selbst zu verkriechen, Leticia ganz ohne Maske gezeigt hätte.
Aber für solche Gedanken ist es jetzt zu spät. Für fast alles ist es jetzt zu spät. Mir bleibt nur noch Zeit, um ein paar zweifelhafte Bündnisse einzugehen und mich von jemandem zu verabschieden, bevor ich das einzige Versprechen einlöse, an dem mir je etwas gelegen hat.
Während ich zu Arreguis Bungalow gehe, denke ich an meinen Sohn und gestatte mir die Schwäche, stolz auf ihn zu sein. Auch wenn ich nicht mit dem Leben davonkomme: Antonio wird vor meinen Schwächen gefeit sein.
Und außerdem hat er mir gesagt, dass ich jemand ganz Besonderes für ihn bin.
Und das nicht nur einmal.
27
Txema Arregui alles zu erzählen ist ein kalkulierbares Risiko. Zum einen hat er mich sowieso schon in Verdacht, und zum anderen habe ich beschlossen, dass ich ihn, sollte er den Kommissar rauskehren, außer Gefecht setze, ehe er bis drei zählen kann. Denn jetzt geht es nicht um eine Frau, die mehr seine als meine war, sondern um meine Kinder; zwar hört sich das jetzt nach Soap-Opera an, ist aber so wahr wie die Tatsache, dass ich nicht nervös bin. Das kann ich mir gar nicht
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