Wir tun es für Geld
mir wohnt, sondern auf einmal auch in mir. Und das jetzt ganz tief in mir drin herumwühlt, ohne auf irgendetwas Rücksicht zu nehmen. Ich muss ganz vorsichtig sein und darf auf keinen Fall voreilige Schlüsse ziehen, aber, und da will ich jetzt natürlich nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, nur, wenn man es genau betrachtet, ganz ohne Vorurteile und Schwarz-Weiß-Denken, es könnte schon sein, also, ich will es zumindest mal in Betracht ziehen, dass ich manchmal, also wirklich nur phasenweise, versteht sich, ein bisschen zu sehr… auf Vanessa fixiert war?
Schluck, was habe ich da gedacht…
Die dicke Frau Kohlmeyer meinte heute Morgen im Treppenhaus jedenfalls zu mir, ich sähe so glücklich aus. Und Frau Kohlmeyer sieht mich ja nicht so oft. Die hat quasi die perfekte Außensicht…
Gut, wir waren betrunken. Trotzdem, das war kein Karnevals-Sex. Wir wollten Ekkehart verarschen und dann, wie soll ich sagen… irgendwas mit durchbrechen und mit aller Macht und allem, was so in die Richtung geht. Als ich aufgewacht bin, war Ines schon weg. Aber sie hat eine Botschaft hinterlassen. Sie hat aus ihrer Schlafanzughose ein Herz gelegt. Ich sehe es immer noch vor mir auf dem Bett liegen…
»Sagen Sie, ich suche eine CD mit Jazz. Ich habe da gerade was im Autoradio gehört, also eigentlich mag ich ja keinen Jazz, aber das war so schön munter, da hat so einer auf dem Klavier immer dum, didim, dum, didim gespielt, und dann kam ein Saxophon, so nänänä, nänänä, also, kennen Sie das vielleicht? Haben Sie das vielleicht da?«
Der Mann mit der Brille hat nicht mich gefragt, sondern den jungen CD- und DVD-Abteilungs-Azubi mit dem Popper-Iro und dem Blick, der sagt: An einem guten Tag kann ich meinen Namen fehlerfrei buchstabieren. Er guckt den Mann an, als wäre er ein Irrer, der nach einem funktionsfähigen Mondauto gefragt hätte.
»Also da kann ich Ihnen jetzt echt nicht… heh!«
Ich habe den Knaben nach einem kurzen Sprint per Vinnie-Jones-Bodycheck in die Bande befördert, packe ihn am Popper-Iro und zische »Der gehört mir« in sein Ohr. Aus seinen Augen strahlt die nackte Furcht. Er verzieht sich in den hintersten Winkel der Abteilung und beginnt das Wühltisch-Angebot zu sortieren.
Ich atme tief durch, wische mir die Gel-verschmierte Hand unauffällig an der Hose ab und wende mich dem Herrn zu.
»Erlauben Sie mir, zu wiederholen: Das Klavier macht dum, didim, dum, didim?«
»Ja.«
»Dann setzt das Altsaxophon ein und macht nänänä, nänänä, nänänä, nänänä?«
»Ja, genau.«
»Und ich vermute, danach kommen Tenorsaxophon und Posaune und machen dapdadapdapdaaa, dadadadapdaaadap, dadap?«
»Richtig! Das hatte ich schon wieder vergessen.«
»Das Stück heißt Tom Thumb, Komponist Wayne Shorter, Album Schizophrenia. Die Besetzung:
Wayne Shorter – Tenorsaxophon
James Spaulding – Altsaxophon
Curtis Fuller – Posaune
Herbie Hancock – Klavier
Ron Carter – Bass
Joe Chambers – Schlagzeug
Aufgenommen, hm, ich bin mir ehrlich gesagt nicht ganz sicher, 1967 oder 1968, aber auf jeden Fall mit Tonmeister Rudy van Gelder für Blue Note Records.«
»Großartig! Und wo finde ich die CD?«
Ich sehe ihn ernst und demütig an.
»Mein Herr, ich muss mich im Namen des Hauses aufrichtig bei Ihnen entschuldigen. Obwohl es kulturvergessen, ignorant, skandalös, ja geradezu barbarisch scheinen muss – Sie finden Wayne Shorters Schizophrenia im Moment nicht in unserem CD-Angebot. Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr es mich schmerzt, diese Worte aussprechen zu müssen. Ich muss Sie wohl oder übel an ein anderes Geschäft verweisen: Jazz Pauli, Wilhelmstraße 4.«
»Danke. Sagen Sie, könnten Sie mir das noch mal aufschreiben?«
»Aber gerne. Sie interessieren sich für Wayne Shorter?«
»Na ja, wenn es da noch mehr gibt, was in die gleiche Richtung geht, ja, durchaus.«
»Nun, abgesehen von Shorters anderen Alben aus den 60ern, von denen ich Speak No Evil und Adam’s Apple besonders hervorheben möchte, lohnt es sich, das Augenmerk auf weitere Aufnahmen mit Herbie Hancock und Ron Carter zu richten, die ja gemeinsam mit dem Schlagzeuger Tony Williams zu einer der wichtigsten Rhythmusgruppen…«
* * *
»Nicht, dass ich Sie unterbrechen möchte, aber das war jetzt schon die dritte Durchsage, dass das Haus schließt, und ich müsste langsam mal…«
»Kunst kennt keinen Ladenschluss. Ist zumindest meine Meinung.«
»Aber Sie haben jetzt schon drei Zettel mit CD-Titeln
Weitere Kostenlose Bücher