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Wir waren nie Freunde

Wir waren nie Freunde

Titel: Wir waren nie Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Casta
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gelehnt sitze, vor mir liegt ein kleines Moorgelände. Die anderen stehen im Kreis um mich herum. Philip hat seinen Becher mit Wasser gefüllt. Er nickt mir zu. Dann kippt er mir den Becher über den Kopf, sodass das eiskalte Wasser mir den Rücken herunterläuft. Lange Zeit bleibe ich unbeweglich sitzen. Höre, wie die anderen miteinander flüstern. Die schwarze Leere ist fort. Es ist hell geworden. Ich schaue mich um. Alles ist unscharf. Ich bewege eine Hand. Hebe sie vors Gesicht. Streiche mit den Fingerspitzen über meine Augen, über eine Schläfe. »Wie geht es dir?«
    Das ist Criz' Stimme. Ich glaube, das sind die ersten Worte, von denen ich sicher sagen kann, dass ich sie wirklich höre und erkenne. Diese vier Worte. Criz' Stimme und dann ihre kalte Hand, die mir über die Stirn streicht. Diese vier Worte. Ich spüre, wie ihre Hand etwas Empfindliches, Verschorftes auf meiner Stirn untersucht. Ich stöhne leise. Gleich muss ich mich wieder übergeben. Ich suche mit der Hand in den Taschen nach meiner Brille, kann sie aber nicht finden. Ich fürchte, ich habe sie verloren. Ich sehe die anderen mit halb geschlossenen Augen an. Philip lehnt sich an einen Baum. Er sieht müde und erschöpft aus. Manny hat sich auf dem grünen Moos ausgestreckt. Es scheint, als schliefe er. Pia sitzt ein Stück entfernt. Sie ist zusammengesunken, wendet mir den Rücken zu. Ihr großer Körper bewegt sich langsam, er zittert ein wenig, als weinte sie.
    »Wie geht es dir?«
    Diese vier Worte. Ich drehe langsam den Kopf und begegne Criz' Blick. Sie sieht mich mit Augen an, die von Schlafmangel oder Weinen ganz aufgerissen und rot sind, und in dem Moment wird mir klar, dass nicht meine Schürfwunde oder die verschwundene Brille das Problem ist, sondern dass etwas verdammt schief gelaufen ist. Etwas ist absolut den Bach runtergegangen. Ich schaue mich noch einmal um, sehe Philips müdes Gesicht, Mannys schlafenden Körper und Pia, die immer noch in sich selbst verschlossen auf ihrem Stein sitzt und schluchzt. Ich reiße mich zusammen.
    »Wo ist Kimmi?«, frage ich mit tonloser Stimme.
    Es scheint, als würden meine Worte etwas aufreißen. »Was ist passiert?«, frage ich. »Was habt ihr mit Kimmi gemacht?«
    Die anderen sehen mich an. Es sieht so aus, als würden sie erst jetzt begreifen, dass ich nicht mitbekommen habe, was passiert ist, und dass mir das jemand erzählen muss. Dass jemand es mir erklären muss.
    »Es gab einen Streit«, erzählt Criz leise. »Kimmi hat ordentlich eins verpasst gekriegt. Er ist zusammengeklappt.«
    »Ist er verletzt?«
    »Ich glaube, nicht so schlimm.«
    »Ist er noch auf dem Berg?«
    Criz nickt.
    »Er ist total umgekippt.«
    Ich wende mich Manny zu: »Was habt ihr mit ihm gemacht?«
    » Wir haben ihn nur ein bisschen verprügelt«, erklärt Manny. »Oh Scheiße, das ist doch nicht so schlimm. Wir haben uns nur gestritten. Er schließlich auch. Er war es doch, der angefangen hat.«
    »Er war so verdammt nervig«, sagt Pia-Maria. »Einfach saudumm.«
    »Er hat uns die ganze Zeit provoziert.«
    »Habt ihr euch geprügelt, du und Kimmi, Manny?« »Habe ich doch gesagt.«
    »Und was noch?«
    »Sonst nichts. Er hat gekriegt, was er verdient hat. Aber dann habe ich nichts mehr gemacht.«
    Manny verstummt. Seine Augen sind dunkel, mir erscheinen sie fast reuevoll, ich sehe, wie er Pia ansieht, als wollte Manny sie auffordern, doch weiterzumachen, mehr zu erzählen.
    »Und was ist noch passiert?«, frage ich.
    »Ich habe nichts gemacht«, sagt Manny.
    »Ach hör doch auf, ich denke, wir wollten zusammenhalten.«
    Philip hat die ganze Zeit geschwiegen. Ich erkenne ihn nicht wieder. Das Starke an ihm ist weg. Diese Selbstsicherheit und Kraft, die er immer ausstrahlte. Alles ist von ihm heruntergeronnen.
    »Philip, was ist passiert?«, frage ich, und ich kann meiner eigenen Stimme anhören, wie aufgewühlt ich bin. »Pia-Maria hat recht. Wir müssen zusammenhalten«, sagt er mit müder, resignierter Stimme.
    Wieso?«
    »Weil wir doch Kumpel sind. Weil es einfach verdammt blöd ist, wenn jemand in die Klemme gerät.« »Aber was ist mit Kimmi? Ist er euch scheißegal? Ihr habt ihn ja ganz allein auf dem Berg zurückgelassen.«
    »Das ist kein Problem«, sagt Philip. »Er wird kommen, wenn er sich erholt hat.«
    Ich kann seiner Stimme anhören, dass er selbst nicht so recht glaubt, was er da sagt.
    »Was habt ihr gemacht, Philip?«
    Philip wendet sich ab. Ein paar Sekunden lang schweigen alle. Ich schaue Pia an.

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