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Wir waren nie Freunde

Wir waren nie Freunde

Titel: Wir waren nie Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Casta
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    Ich höre Pia schluchzen. Sie ist etwas zurückgefallen, fährt fünfzig Meter hinter uns. Ich weiß nicht, ob sie das absichtlich macht. Ich traue mich nicht, mich umzudrehen, weil ich Angst habe, dann umzufallen.
    Ich bin müde. Ich habe Angst. Ich habe Migräne, die ich bis in die Füße spüre. Das ganze verfluchte Fahrrad hat Migräne. Ich denke an dich, wie du auf einem Berg im Wald liegst. Ich bin sicher, dass du lebst. Ich weiß nicht, wieso. Ich bilde mir ein, dass ich es spüren kann. Es ist, als versuchtest du, Kontakt mit mir aufzunehmen. Es sind nur noch ein paar Kilometer bis Omas Haus. Ich weiß, dass wir dort halten werden. Wir müssen es. Es gibt keine andere Möglichkeit.
    Tove; my Love Unerhörte, unzuverlässige Tove. Heute ist Montag, ein normaler, alltäglicher Montag, du weißt, so ein Tag, an dem man sich fragt, ob man wirklich lebt, ob es wirklich so grau und trübe sein muss. Und dann regnet es auch noch! Und wir schreiben in dieser Woche Mathe UND Politik. Man muss sich fragen, ob die Lehrer noch ganz gescheit sind. Man muss sich fragen, wann denn das richtige Leben endlich anfängt. Erinnerst du dich daran, wie wir im Frühling bei PM in der Wohnung auf dem Boden lagen und darüber geredet haben?
    Für mich gibt es keine grauen, keine sinnlosen Tage mehr. Es gibt einfach nur Tage. Alle sind etwas wert, denn alle sind ja wohl ein Teilchen in dem Puzzle, das mein Leben ausmacht. Es gibt keine guten Tage, obwohl ich eine Zeit lang dachte, dass ein Tag ohne Schmerzen ein guter Tag wäre.
    Aber das ist jetzt alles vorbei. Es ist vorüber. Was geblieben ist, das ist eine Trauer über den Zustand der Welt, darüber, dass du weg bist, Tove, und darüber, dass alles so schrecklich ist. Als ihr mich auf dem Berg zurückgelassen habt, da habe ich geglaubt, ich müsste sterben. Zuerst lag ich da und habe mich tot gestellt, damit ihr mich endlich in Ruhe lasst. Damit ihr aufhört. Aber später, nachdem ihr einfach weggegangen seid, da fing die wahre Hölle an.
    Aber das ist jetzt vorbei. Ich versuche nicht mehr daran zu denken. Nicht an das, was alles noch an Fragen da ist, Tove. Es gibt so viel, was ich nicht verstehe. Es gibt zu viele Fragen!
    Erinnerst du dich daran, wie es anfangs war? Als alles sich nur um Vögel drehte? Ihretwegen sind wir doch losgefahren. Wegen der Lerchen und Bussarde. Ich weiß nicht, was dann passiert ist. Jetzt im Nachhinein begreife ich nur, dass ich nur dich gesehen habe. Etwas hat dazu geführt, dass die anderen so anders wurden. Sie haben sich verändert. Und du auch, Tove.
    Ich sitze bei McDo und schreibe das hier. So mancher Schriftsteller sitzt im Café und arbeitet. Wie Carina Rydberg, wenn du weißt, wer das ist. Und jetzt sitze ich also hier bei McDo und schreibe dir, dabei fühle ich mich fast wie ein Schriftsteller, zumindest wie jemand, der versucht, einer zu sein. Obwohl das, was ich mache, wohl eher ein Versuch ist, meine Erinnerungen aufzuschreiben und zu ordnen, damit ich sie mir zurechtlegen kann. Damit ich dann weitermachen kann. Ich wünschte, du könntest mir helfen.
    Aber ich weiß nicht, ob du dir überhaupt etwas aus mir machst. War ich einfach nur ein Junge, den du halt geküsst hast? Fandst du es einfach stark, mit einem Jungen wie mir mal zusammen zu sein? Mir ist schon aufgefallen, dass es einigen Mädchen so geht.
    Ich weiß, es gibt eine Kluft zwischen uns, die wir vielleicht nie überwinden können. Trotzdem sage ich die Wahrheit, wenn ich behaupte, dass ich dich liebe. Niemals im Leben werde ich diesen weißen Sonntag im April vergessen, als es so viel geschneit hatte und wir auf Elisabets Schreibtisch nackt zwischen den Papieren lagen, und ein Birkenzeisig gegen das große Terrassenfenster flog und in deiner Hand starb.
    Ich hole mein rotes Feuerzeug heraus und zünde das Papier an. Als es brennt, kommt ein Typ in blauem, kurzärmligem Hemd und Schlips angelaufen und will wissen, was ich da treibe. Ich sage ihm, dass ihn das einen Scheißdreck angeht, werfe das brennende Papier auf den Boden und gehe fort. Er packt mich von hinten, legt mir in einer Art die Hand auf die Schulter, dass ich stinksauer werde. Ich reiße mich los, drehe mich um und sage ihm, dass ich ihm alle Zähne einschlagen werde, wenn er mich auch nur noch einmal anhaucht. Er starrt mich lange an, lässt mich aber gehen.
    Als ich nach Hause komme, entdecke ich fünf, sechs schwarzweiße Elstern auf dem Astrakanvägen. Sie stehen mitten auf der Straße, direkt vor

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