Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir waren nie Freunde

Wir waren nie Freunde

Titel: Wir waren nie Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Casta
Vom Netzwerk:
einem der Straßenbuckel, als wären sie eine Polizeikontrolle.
    Dann sehe ich, dass sie auf etwas einhacken. Es könnte Elvis sein. Plötzlich bin ich mir ganz sicher. Ich laufe zu den Elstern hin. Sie fliegen erschrocken auf. Als ich auf die Straße sehe, kann ich erkennen, dass dort eine tote Amsel liegt.
    Ich gehe zur Appelstugan hinunter. Die meisten Kinder sind um diese Uhrzeit schon abgeholt worden. Es ist nur noch ein kleines Mädchen mit dichtem Haar da. Sie läuft mit einer Schere in der Hand herum und singt ein PippiLangstrumpf-Lied, und erst glaube ich, dass sie auf die Toilette gehen muss, aber als ich sie frage, ob ich ihr dabei helfen soll, hört sie auf zu singen und schreit »Nääh!«, verschwindet im Ruheraum und versteckt sich dort hinter einem Berg von grünen Kissen. Kristin sitzt in ihrem Zimmer. Sie schaut auf, als ich hereinkomme. Lächelt mir zu. Verschwindet dann wieder zwischen den Ziffern des Bildschirms, schreibt etwas. Seufzt, dreht sich herum. Die Ringe unter ihren Augen sind dunkler als sonst.
    »Hallo Kim. Schön, dass du gekommen bist.«
    »Viel zu tun?«, frage ich und nicke zu dem ungeduldig brummenden Computer.
    »Es geht. Das ist immer so am Anfang. Viele neue Kinder und einige neue im Personal. Wie war es in der Schule?« »Wie immer. Wer ist denn das kleine Mädchen, das noch da ist?«
    »Hulda? Das ist doch Manfreds Schwester.«
    »Ach«, denke ich, »ist Mannys kleine Schwester schon so groß geworden. Sie war doch noch ein Baby, als ich sie das letzte Mal gesehen habe.«
    »Du kennst alle«, sage ich und lache.
    »Ja, die meisten hier in dieser kleinen Welt«
    »Wie war es in Malmö?«
    »Schön«, sagt Kristin. »Es war wirklich toll, sich nach so vielen Jahren wiederzusehen. Einige habe ich gar nicht wiedererkannt. Sie sind so ... irgendwie so alt geworden. Findest du mich alt, Kim?«
    »Nein«, sage ich.
    »Einige sahen aus, als wären sie schon viel zu früh verwelkt. Als hätte das Leben sie enttäuscht und verbittert gemacht. Aber Birger war ganz der Alte. Ja, er sah fast besser aus als zu der Zeit, als wir ins Gymnasium gegangen sind. Wir waren damals zusammen, nur ein paar Monate, dann ging er zum Militär und ich fing an zu studieren.«
    »Habt ihr euch seitdem nie wieder gesehen?« »Nein.«
    Ich frage mich, ob sie Jim je von Birger erzählt hat. »Aber vielleicht lässt du das auch lieber, Kristin«, denke ich. Dann reden wir über so einen neuen Organisationsplan in der Kommune. Vision 2005. Ich verstehe nicht so viel davon. Nur, dass damit wieder einmal Geld gespart werden soll.
    »Es gibt niemanden, der heutzutage noch Zeit hat«, seufzt sie. »Alle reden von der Zukunft, aber keiner will sich für die Kinder engagieren. Und dabei sind sie doch unsere Zukunft.«
    Ich nicke. Das habe ich schon häufiger gehört. Und ich denke, sie hat recht damit, zumindest im Prinzip. »Was glaubst du, wie die Zukunft wird, wenn wir nicht auf die Kinder setzen. Wenn sie nicht genügend Personal kriegen, Pflege, Märchen und Spiele. Kinder brauchen Zeit. Sie müssen von den Erwachsenen gesehen werden, müssen sich in uns spiegeln können. Wenn wir ein Viertel aller Menschen schon abschreiben, wenn sie noch Kinder sind, was meinst du, was dann passiert, Kim?«
    »Dann geht alles den Bach runter«, sage ich.
    Sie schaut mich an. Nickt.
    »Die Gesellschaft bricht in zwei Teile auseinander, Kim. In einen guten und einen schlechten Teil. In dem guten Teil wird alles ein bisschen besser. Die Eltern kämpfen darum, noch bessere Eltern zu werden, ihren Kindern Zeit geben zu können, obwohl sie doch so schrecklich wenig davon haben. In dem schlechten Teil wird das meiste noch schlechter. Man schafft es nicht, sich Gedanken zu machen, man schafft gar nichts mehr.«
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin diese ganzen Predigten über die Zukunft etwas leid.
    »Guck dir Hulda da draußen an«, fährt Kristin fort. »Ingmari hätte schon vor einer Stunde hier sein sollen. Sie hat zweimal von ihrem Handy aus angerufen. Sie sitzt in einer Konferenz. Sie hofft es noch hierher zu schaffen, bevor ich gehen will. Sonst will sie versuchen, Manfred zu erreichen.«
    Das Telefon klingelt. Kristin sucht nach den Zigaretten. Ich stehe auf. Nicke ihr zu. Sie legt die Hand auf die Muschel:
    »Wir sehen uns in einer Stunde«, sagt sie.
    Hulda steht in der Garderobe, als ich gehe. Sie hat die Haustür einen Spalt weit geöffnet und späht hinaus. Ich frage mich, zu welchem Teil der Gesellschaft sie

Weitere Kostenlose Bücher