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Wir waren nie Freunde

Wir waren nie Freunde

Titel: Wir waren nie Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Casta
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wohl gehört, zu dem guten oder dem schlechten. Als sie mich sieht, hält sie mir die Tür auf.
    »Tschüs, du Pädofieser«, sagt sie.
    »Deine Mama kommt gleich«, sage ich.
    Eines Abends stehe ich vor Mannys großer Villa. Es fängt an zu regnen, und ich suche Schutz unter der großen Kastanie an der Kreuzung. Die Hälfte des Laubs liegt unter meinen Füßen, und ich habe das Gefühl, als würde gleich der Rest in dem unsteten Wind, der mir Regen und Kastanienblätter ins Gesicht weht, heruntergesegelt kommen. Dieser Wind, muss man sich deshalb Gedanken machen? Kristin tut das. Sie sagt, dass etwas mit dem Klima nicht stimmt. Es war früher nie so windig wie jetzt, behauptet sie. »Woher kann man das wissen?«, fragt Jim. »Wir haben doch erst seit hundert Jahren Meteorologen, und ein Klima gibt es bereits seit mehreren Millionen Jahren.« Sie erwidert ausnahmsweise einmal nichts darauf.
    Ich schaue den schwarzen BMW mit Sportfelgen an, der auf dem weißen Kies auf der Einfahrt zum Haus steht. Eine Lichterreihe wirft ein gelbes Licht auf ihn und auf den gepflegten Rasen. So ein Auto muss doch ein Vermögen kosten. Ich frage mich: »Was tut man wohl, wenn es kaputtgemacht wird? Was wird Mannys Vater tun, wenn ein Verrückter sein Auto kaputtmacht?» Ich kann Mannys Vater in einem der Fenster sehen. Er spricht in ein schnurloses Telefon. Er sieht elegant aus in dem dunklen Anzug, dem weißen Hemd und der Krawatte. Als ich ihn dort stehen sehe, kann ich kaum glauben, dass er Mannys Papa ist. Frage mich: »Sind sie von der gleichen Sorte? War Mannys Vater genau wie Manny, als er jung war?«
    Ich taste nach dem Feuerzeug in der Jeanstasche. Spüre seine kühle Oberfläche an den Fingerspitzen. Ich zögere ein paar Sekunden lang. Schaue mich um. Dann schleiche ich hin. Hocke mich neben den Wagen. Halte das Feuerzeug in der linken Hand bereit, während ich versuche, den Tankdeckel zu öffnen. Der Verschluss sitzt fest. Er muss von innen zu öffnen sein. Ich suche nach etwas, womit ich ihn aufhebeln kann und finde die Schlüssel in meiner Tasche. Ich schiebe einen in den Spalt und heble damit. Es gibt Kratzer in dem schwarzen Lack. Aber der Verschluss bleibt zu. Als ich gehe, hebe ich eine Kastanie auf. Ich streichle die glatte Haut mit den Fingern. Dann werfe ich sie so fest ich kann auf den schwarzen BMW.
    Wenn es an der Tür klingelt, springen immer alle auf. Es ist nicht üblich, dass es abends bei uns an der Tür klingelt. Wenn doch, dann ist es Ulla, die Kristin auf dem Weg zum Abendsport bei Friskis and Svettis abholt, und sie klingelt nicht. Warum sollte sie auch? Sie klopft nur ans Küchenfenster, während sie gleichzeitig schon hereinkommt.
    Jetzt schaut Kristin auf. Sie liest ihren Bericht über den Sparbedarf in den kommunalen Bereichen Anfang des neuen Jahrhunderts. Sie hat den ganzen Abend gestöhnt und geseufzt und wirkt verärgert über die Unterbrechung. »Wer kann das denn zu dieser Zeit sein«, brummt sie. Dann versinkt sie von neuem in den Papieren.
    Jim verlässt einen dicken Stapel Aufsätze, der Stuhl schrammt laut über den Boden. Er geht zur Tür, schaut durchs Fenster hinaus, öffnet dann.
    Es dauert ein paar Sekunden, dann dreht er sich zu uns um.
    »Es ist für dich, Kimmi«, ruft er.
    Tausend Gedanken purzeln in meinem Kopf herum. Ich tippe auf jemanden aus der Klasse. Vielleicht jemand, der ein Schulbuch ausleihen will. So etwas ist schon vorgekommen. Vielleicht jemand, der mich besuchen will. So etwas ist noch nicht so oft vorgekommen.
    »Wer ist es?«, frage ich, als Jim mir entgegenkommt. »Ein Mädchen«, antwortet er und zwinkert mir so geheimnisvoll zu, wie es nur Eltern können.
    Ein Mädchen. Mein Herz macht einen Satz. Ein Mädchen? Die kleine Sofi aus dem Nachbarhaus, die Weihnachtszeitungen verkaufen will? Das macht sie jedes Jahr. Aber schon im September?
    Ich schiebe die Tür auf.
    »Hallo«, sagt ein Mädchen, das auf dem Weg steht, ein ganzes Stück von der Tür entfernt.
    »Hallo«, erwidere ich.
    »Hallo Kim«, wiederholt sie mit leiser Stimme.
    Ich nicke nur. Dann wird es still. Eine ganze Weile stehen wir nur da und sehen uns und die unregelmäßigen Ölandsteine auf dem kleinen Weg an. Sie versucht einen Zeh zwischen zwei Steine zu schieben, die vom Frost im letzten Winter hochgeschoben wurden.
    Jims Stimme von drinnen:
    »Bitte sie doch reinzukommen! Das wird so verdammt kalt, wenn die Tür offen steht...«
    Ich verziehe das Gesicht.
    »Willst du reinkommen?«, frage

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