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Wir waren unsterblich (German Edition)

Wir waren unsterblich (German Edition)

Titel: Wir waren unsterblich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
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darum. Es war eine stille Übereinkunft. Die Tante war ein vom Balkon herab-blickender Schemen mit weißen Haaren. Mehr nicht.
    „Ich weiß nicht, ob ich mich nochmal in den Keller traue“, begann ich, nachdem mir Töffel ausführlich von seinen Sumpfschildkröten erzählt hatte, die er in seinem Zimmer hielt.
    Töffel nickte kaum merkbar.
    „Ich wäre da unten gestorben“, flüsterte er nach einer Weile.
    „Du fürchtest dich wohl sehr im Dunkeln?“
    Er blickte mich an. Im ersten Moment wollte er wohl protestieren: Ich und Angst! Von wegen!
    Aber wir kannten uns schon zu lange. Er wusste, dass ich ihn durchschauen würde.
    „Ja ...“, sagte er. „Du etwa nicht?“
    Ich knuffte ihn. „Und ob! Ich möchte dir etwas erzählen. Aber du darfst mit niemandem darüber reden. Die meisten würden mich für verrückt halten.“
    Töffel nickte voller Ernst.
    „Da ist ein Klopfen. Sehr leise und immer nur nachts. In der Wand direkt neben meinem Bett. Manchmal erkenne ich sogar einen Rhythmus. So, als wollte mir jemand ein Signal geben.“
    „Ein Signal?“ Töffel zog meine Worte nicht eine Sekunde lang in Zweifel. „Aber von wem?“ In Gedanken schien er alle ihm bekannten Fantasiegestalten durchzugehen. Die Schrecklichen und ganz besonders Schrecklichen.
    „Meine Eltern meinen, es käme von der Heizung.“
    „Und? Glaubst du ihnen?“
    „Es macht die Sache leichter. Außerdem gewöhnt man sich mit der Zeit an alles.“
    „Ich weiß nicht“, murmelte Töffel. „Die Erwachsenen verstehen vieles einfach nicht mehr.“
    „Wie meinst du das?“
    Mein Freund suchte nach Worten. „Sie ... sie vergessen, was früher war. Wie sie fühlten. Es ist so, als könnten sie nur noch das sehen, was sie sehen wollen.“
    Wir standen vor der gläsernen Eingangstür des Hochhauses. Töffel drückte blind auf einen der vielen Klingelknöpfe, noch immer versunken in seinen Gedanken. Fast augenblicklich summte der automatische Türöffner. Wir verabschiedeten uns. Die Tür fiel ins Schloss. Ich konnte seine Schritte nicht mehr hören. Trotzdem wandte ich mich noch einmal um. Nachdem uns der Regen an Hilkos Zimmer fesselte und klar war, dass wir nicht auf den Bauernhof konnten, war er geradezu übermütig gewesen, hatte gekichert und begeistert jedes neue Lied kommentiert, das aus den Lautsprechern dröhnte. Doch auf dem Nachhauseweg war er bei jedem Meter stiller geworden, so dass ich es fast nicht gewagt hatte, ihn auf seine Furcht vor dem Keller anzusprechen. Je näher er dem Hochhaus kam, desto trauriger wurde er. Als würde er im Schatten des Gebäudes seine Lebenslust verlieren. Ein Vampir aus Beton, überlegte ich. Es ist nicht gut, in solchen Häusern zu wohnen. Sie nehmen dir etwas von deiner Kraft.
    Ich sah, wie Töffel den ersten Treppenabsatz erreichte. Er hatte es ziemlich eilig. Aus einer Tür tauchte ein Mann in einem grauen Kittel auf. Nicht sehr groß, aber mit etlichen Kilos zu viel. Es war fast, als wäre er von einem Katapult in den Flur geschossen worden. Als hätte er die ganze Zeit auf meinen Freund gewartet.
    Töffel zuckte erschrocken zusammen und wollte mit gesenktem Kopf an dem Mann vorüber. Doch der ließ ihn nicht. Er hielt Töffel am Arm fest, seine breiten Hände sanken auf dessen Schultern. Der Mann ging in die Knie, beide befanden sich auf gleicher Augenhöhe. Wie ein Vater, der mit seinem Sohn ein paar vertrauliche Worte austauschen wollte. Doch Töffel wich zurück, schien gleichzeitig zu schrumpfen, dann spürte er die Wand im Rücken und drehte seinen Kopf zur Seite. Weg von dem Gesicht des Mannes.
    Töffel rang um Beherrschung, sein Blick wanderte ganz langsam zurück zu dem Fremden. Der bewegte die Lippen, redete auf Töffel ein. Unhörbar für mich. Dann, mit einem Ruck, wandte sich Töffel nach links. Unsere Blicke trafen sich. Ich spürte seine Scham, in Töffels Augen stand: Geh weg!
    Ich machte einen Schritt nach vorn, zögerte eine Sekunde – der Mann hatte mich in dem schwachen Licht vor dem Eingang noch nicht bemerkt – und dann klopfte ich gegen das Glas der Tür. Zaghaft, schließlich fester.
    Die Sache war nicht in Ordnung. Überhaupt nicht in Ordnung!
    Der Mann wich schlagartig zurück, er ließ Töffel los und seine Arme baumelten wie Fremdkörper an seinem Körper. Er entdeckte, wer ihn da störte und mit einer Geschwindigkeit, die ich ihm nie zugetraut hätte, stürmte er zur Tür und riss sie auf.
    Er blickte auf mich herab und obwohl er jetzt, wo er mir direkt

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