Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir waren unsterblich (German Edition)

Wir waren unsterblich (German Edition)

Titel: Wir waren unsterblich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
Vom Netzwerk:
winzig, so hilflos gewesen. Ein Kind. Weit davon entfernt, erwachsen zu werden.
    „Da stimmt was nicht.“ Leo biss in seine Stulle. Die Brote waren mit Senf oder Margarine bestrichen. Manchmal gab ich ihm von meinem Frühstück die Hälfte ab. Darauf bedacht, so zu tun, als hätte ich keinen Hunger. Meine Mutter packte mir Pumpernickel ein. Übereinander geschichtet, mit viel Butter und Wurst. Hin und wieder sogar eine selbstgebackene Waffel vom Vortag.
    „Wir sollten ihn am Nachmittag besuchen.“
    „Aber seine Tante ...“, warf Markus ein.
    „Wir müssen ihm doch die Hausaufgaben vorbeibringen“, teilte Leo kauend mit.
    „Oha!“, machte Hilko und paffte. Ihm war genauso mulmig bei dem Gedanken wie mir. Die Tante war bisher die schweigende, schlohweiße Frau in der Höhe der dritten Etage gewesen.
    „Vielleicht sollten wir nicht alle auf einmal da auftauchen“, meinte Markus. Das leuchtete uns ein. Hilko kramte vier Streichhölzer hervor und brach Zweien die roten Schwefelköpfe ab.
    „Wer kurz zieht, geht zu Töffel.“
    Markus zog ein langes Zündholz. Leo erwischte ein kopfloses, ebenso wie ich. Hilko betrachtete das letzte in seiner Faust. „Okay!“, sagte er mit sichtlicher Erleichterung. „Markus und ich werden unten auf euch warten.“

    Um Punkt drei Uhr presste Leo seinen Zeigerfinger auf den Klingelknopf. Sofort knackte es im Lautsprecher der Gegensprechanlage. „Wer ist denn da?“
    „Freunde von Töffel ...äh... Christoph“, antwortete ich hastig. „Wir bringen ihm die Hausaufgaben.“
    „Er ist krank.“
    „Was hat er denn?“, fragte Leo über meine Schulter hinweg.
    „ ... Fieber.“ Diesmal zögerte sie eine Sekunde lang. Leo ließ sich nicht abwimmeln. „Wir schreiben nächste Woche eine Englischarbeit. Wir haben hier ein paar wichtige Übungsblätter.“ Das war eine glatte Lüge. Aber wenn Töffels Tante auch nur die geringste Ahnung hatte, musste sie über die schlechten Leistungen ihres Neffen in diesem Fach Bescheid wissen. Töffel stand in Englisch zwischen Vier und Fünf.
    Der Türöffner summte. Leo und ich erreichten die erste Etage.
    „Hier wohnt der Kerl“, flüsterte ich. Wir starrten die Tür an. Auf einem goldenen Metallschild stand ein Name und darunter: HAUSMEISTER. Schnelle, schlurfende Schritte näherten sich der Tür und verstummten. Ich glaubte zu spüren, wie uns der Mann durch das Loch des Spions beobachtete. Eilig ging ich weiter. Über uns schob Töffels Tante ihren Kopf über das Geländer und rief uns etwas zu.
    Es war schwer vorstellbar, dass sie mit Töffel verwandt sein sollte. Sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mit ihm. Sie war groß, über einsachtzig, und gewaltig. Nicht dick. Ihr Körper schlug nicht diese wabbeligen Wellen wie bei anderen Übergewichtigen. Die Tante wirkte wie eine feste Masse. Ich war mir sicher, dass sich ihr gigantischer Busen unter dem geblümten Kittel wie ein Medizinball anfühlen würde. Sie streckte eine Hand aus. „Gebt mir die Schulsachen.“
    Leo lächelte freundlich. „Wir müssen Ihrem Neffen dazu aber noch einiges erklären. Sonst kann er es nicht verstehen.“
    Der menschgewordene Fels trat beiseite und stieß die Wohnungstür auf. „Schuhe aus!“
    So einfach war das also! Damit hatte ich nicht gerechnet. Wir gingen hinein.
    Der schmale Flur erstickte in Braun. Der Teppich, der Schuhschrank, die Wände mit dem Holzimitat aus Kunststoff. Alles besaß nur diese eine Farbe. In der Luft hing der Geruch von süßlichem Parfüm. So, als sollte der etwas anderes überdecken. Was das war, erkannten wir, als die Tür zu Töffels Zimmer geöffnet wurde.
    „Besuch!“, rief die Tante.
    Die Sumpfschildkröten. Sie verbreiteten einen fauligen Ge-stank. Nach feuchter Erde, Brackwasser und Fischfutter.
    Töffel saß aufrecht im Bett. Überrascht sah er uns entgegen. „Macht nicht zu lange“, sagte seine Tante und schloss zu meiner Erleichterung die Tür hinter sich. In dem Aquarium neben dem Fenster plätscherte es. Aber in der braunen Brühe war keine Schildkröte zu sehen. Töffel klappte das Asterix-Heft auf seinem Schoß zu. „Ihr?“
    „Na ja“, sagte ich. „Wir haben uns Sorgen gemacht.“
    „Mir geht es schon besser“, erwiderte er.
    Leo klopfte gegen das Glas des Aquariums. „Sind deine Kröten unsichtbar? Oder schon verreckt?“
    „Äh... nein. Sie tauchen die meiste Zeit.“
    Was für dämliche Haustiere!, dachte ich, tat aber trotzdem so, als würden mich seine Stinkkröten interessieren. „Hast du

Weitere Kostenlose Bücher