Wir waren unsterblich (German Edition)
mit seiner Fröhlichkeit anstecken konnte. Und nun ging die Sonne in Töffels Gesicht auf. Alles an ihm entspannte sich, er seufzte tief, seine Muskulatur erschlaffte, er blieb einfach liegen und lächelte so breit in den kühlen Morgen, wie ich es noch nie zuvor bei einem Menschen erlebt hatte. Es war nicht richtig, sich über den Tod eines anderen Menschen zu freuen, aber ich sagte nichts. Auch Leo grinste jetzt wie ein Honigkuchenpferd. Dabei war noch gar nicht sicher, ob Charlie bei dem Zusammenstoß mit dem Magirus tatsächlich ums Leben gekom-men war. Der Unfall war am gestrigen Abend zu spät geschehen, um noch in die heutige Zeitung zu kommen. Wir mussten noch einen Tag warten, um Gewissheit zu haben.
Charlie kehrte nicht zurück. Er starb auf dem Operationstisch an seinen schweren Schädelverletzungen. Natürlich hatte er keinen Helm getragen. Helme trugen nur die alten Männer auf ihren grauen Motorrollern. Die Polizei sprach von Leichtsinn und überhöhter Geschwindigkeit. Das Opfer war schon mehrmals verwarnt worden. Den Fahrer des Lkw traf keine Schuld. Charlie war seitwärts in den Laster auf der Vorfahrtsstraße geprallt.
Zwei Tage danach schlug Markus vor, nach Hausfriedensbruch zurückzukehren. Dort sei doch alles wieder wie zuvor. Ich stimmte ihm zu, der Bauernhof war immer unsere Zuflucht gewesen. Hier konnten wir unter uns sein. Die Ereignisse der letzten Zeit hatten uns noch mehr zusammengeschweißt, gleichzeitig verspürten wir immer weniger Lust, mit anderen Jugendlichen zusammen zu sein. Sogar Mädchen waren uns im Moment egal, dabei hatten wir noch vor kurzer Zeit hitzig darüber diskutiert, wann der richtige Moment war, um im Kino nach der Hand eines Mädchens zu greifen.
Als wir das Grundstück betraten, starrte jeder von uns zuerst zu dem vergitterten Kellerfenster. Das Ölfass stand noch immer an der Stelle, wo wir es zurückgelassen hatten. Der Bauer lagerte sein Heu ein, hin und wieder kam ein Spaziergänger den Feldweg entlang und keiner ahnte, was an diesem Ort geschehen war. Schweigend stiegen wir die Treppe zur Scheune hinauf und hockten uns ins Heu. Selbst Markus brachte keinen Spruch über die Lippen, er sah sich ein nervös nach allen Seiten um, als könnte der tote Grundmann hinter einem der Strohballen auftauchen. Ganz plötzlich, mit ausgestreckten Armen und irrem Gesicht. So wie Nosferatu in diesem uralten Stummfilm, der mir tierische Angst eingejagt hatte. Markus sprach aus, was uns alle quälte. „Ob er die Leiche irgendwo auf dem Bauernhof versteckt hat?“ Markus schnupperte, als glaubte er, den Geruch der verwesenden Leiche ausmachen zu können. „Charlie hatte kein Auto. Wie will er den Hausmeister von hier weggebracht haben? Mit seiner Karre? Etwa auf dem Gepäckträger?“
„Er sagte doch, dass er Freunde hätte“, warf Töffel ein. „Wir haben ihn doch schon öfters mit Älteren gesehen.“ Seine hohe Stimme begann zu krächzen. „Wenn die Bescheid wissen, dann ... .“ Er biss verzweifelt in seine Faust.
„Darüber habe ich schon nachgedacht.“ Hilkos Stimme war ganz klar. „Die hätten ihn bestimmt dazu gedrängt, mehr als nur zehn oder zwanzig Mark von uns zu verlangen. Außerdem ist er schon ein paar Tage tot und nichts ist passiert.“ Er tätschelte kurz und etwas ungelenk Töffels Knie. „Es sieht gut aus. Auch mit Grundmann.“
Er hatte Recht. Töffel hielt uns über die Suche seiner Tante nach ihrem Liebsten auf dem Laufenden. Mieter hatten sich bei der Hausverwaltung beschwert. Grundmann sei nie zu erreichen und er mache seine Arbeit nicht. Einer von der Verwaltung tauchte daraufhin vor Grundmanns Wohnung auf. Töffels Tante, die ihre Augen und Ohren mehr denn je überall hatte, kam hinzu und machte dem Mann klar, dass etwas passiert sein musste. Töffel hatte das Gespräch im Treppenhaus belauscht. Der Verwaltungsmensch schien von seinem Hausmeister nicht die beste Meinung zu haben. Vermutlich war ihm zumindest bekannt, dass der Kerl zu viel soff, um zuverlässig zu sein. Aber schließlich wandte sich die Verwaltung an die Polizei. Zwei Beamte tauchten auf, nahmen mit wenig Begeisterung erneut die Aussage der Tante auf und sahen sich in Grundmanns Wohnung um. „Es gibt keine Hinweise auf ein Verbrechen oder einen Suizid“, teilten sie der entrüsteten Tante mit. Das zurückgelassene Spritzbesteck mit dem Insulin könnte ein Hinweis sein, dass der Mann möglicherweise ohne seine Medizin irgendwo zusammengebrochen sei. Die Polizisten
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